”Der Eisriese Irtahir” 05
Kapitel 5
"Ich konnte nicht fassen, wie schnell wir durch den Schnee glitten ... innerhalb kürzester Zeit erreichten wir die die Spur, die Atara und ich hinterlassen hatten, folgten ihr und kamen schließlich an dem Ort der Schlacht an. Erst hier, bei meinen gefallenen Kameraden, hielt Irtahir an und nickte nur, daß ich aussteigen sollte – ich gehorchte und stieg aus seinem Schlitten, fing meine Streitaxt, die er mir zuwarf und sah ihm nach, als er wieder davonfuhr."
Der große Kelte verstummte erneut und betrachtete noch einmal diese Erinnerung – so viel Zeit war seither vergangen, aber er sah sie noch immer so deutlich, wie an jenem Tag.
"Wie kamst du dann wieder zu dem Clan zurück, in dem du gekämpft hast ?" Der junge Luhil wollte, Nein, mußte es wissen – es war der letzte Teil der Geschichte, der noch fehlte.
"Nun ... ich setzte mich und dachte nach, ob all das nur ein Traum gewesen war ... nur der schlechte Zustand meiner Rüstung und die Kufenspuren im Schnee zeigten mir, daß ich all das erlebt hatte. Ich überlegte, ob ich den Weg zurück ins Lager gehen sollte – es war nicht weit, gerade mal ein Tagesmarsch, und schließlich setzte ich mich in Bewegung.
Es dämmerte schon, doch ich wußte den Weg und folgte den alten Spuren des Kriegertrupps ... ich ging die ganze Nacht durch und kam schließlich im Morgengrauen in das Gebiet des Bärenclans, brach im Wald vor Erschöpfung zusammen und verlor das Bewußtsein. Erst drei Tage später wachte ich wieder auf – Späher des Clans hatten mich gefunden und ins Dorf zurückgebracht, in dem ich gepflegt und vom Schamanen versorgt wurde."
Der junge Krieger an der Seite war sichtlich aufgeregt – doch es war einer der Alten, der schließlich die Stimme erhob.
"Hast du es ihnen erzählt ? Ich treffe nur selten Krieger aus dem Bärenclan und bisher habe ich diese Geschichte nicht gehört."
Lairan schüttelte nur kurz den Kopf – er zögerte, doch dann faßte er unter sein Hemd, zog den kleinen Amulettlederbeutel, den er immer trug, heraus und öffnete ihn, als er ihnen antwortete.
"Nein – ich erzählte ihnen nichts, ich sagte nur, daß ich im Schnee umhergeirrt sei. Doch in meiner Faust hielt ich die ganze Zeit etwas verborgen und Niemand hatte während meiner Bewußtlosigkeit meine Finger öffnen können. Es war der Beweis, daß ich nicht geträumt hatte – und ich trage es seither bei mir."
Mit den Worten nahm Lairan aus seinem Amulettbeutelchen eine riesige, fingerlange Kralle aus purem, blauschimmernden Eis heraus – reichte sie den Anderen und betrachtete mit einem kurzen, harten Lächeln, wie sie ungläubig feststellten, daß das harte Eis nicht schmolz. Es schien magisch geformt und die drei Alten schlugen sofort das Zeichen gegen das Böse, ehe sie die Kralle an den Fremden weitergaben, der sacht zu lächeln begann, als er sie in der Hand hielt.
"Irtahir muß sie dir gegeben haben, als du im Gebiet des Bärenclans ohnmächtig wurdest – es ist ein Zeichen seiner Hochachtung, du solltest sie immer ehren, junger Krieger." Während er sprach, gab der Fremde die Kralle wieder an Lairan zurück, betrachtete den hochgewachsenen Kelten und lächelte, als er aufstand und den fast leeren Weinschlauch aufhob.
"Ich danke dir für diese Geschichte, Lairan ... ich werde sie in meinem Herzen bewahren und ehren, bis die Zeit reif dafür ist, sie weiterzuerzählen."
Zuerst wollte der Schwarzhaarige auffahren – doch ein Blick in die goldenen Augen des Fremden dieses Fremden genügte, um wieder ruhig zu werden und nur kurz zu nicken. Erst jetzt verneigte sich der Fremde und schickte sich an, zu gehen, als einer der Alten ihn ansprach.
"Sag mir – wie heißt du, Fremder ? Mir kommt es so vor, als würde ich dich kennen, auch wenn die Erinnerung sehr schwach ist."
Der Goldblonde lächelte nur und nickte ... antwortete ein leises "Morgen nach der Schlacht wird dir die Erinnerung wieder kommen, Wulfgar.", ehe er sich umdrehte und in der Nacht verschwand. Die drei alten Krieger runzelten bei dieser rätselhaften Antwort nur die Stirn – doch dann zuckten sie mit den Schultern und legten sich ebenso wie Luhil und Lairan auf ihre Fellumhänge, um im leichten Schlaf eines Kämpfers Kraft für die morgige Schlacht zu sammeln, die hoffentlich die Letzte dieses Krieges sein würde.
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