”When the rain falls ...” 01
Laut aufknurrend, ließ Lawrence den Motor seiner Maschine aufheulen und gab mehr Gas – es war ihm egal, daß er das Motorrad bis an seine Leistungsgrenzen brachte und die erlaubte Höchstgeschwindigkeit schon lange überschritt. Er wollte nur vergessen, was vor so kurzer Zeit passiert war, und die Geschwindigkeit erlaubte es ihm. Er – der Erstgeborene und Erbe einer alten und geschätzten Familie – war enterbt und vertrieben worden ... und das nur, weil er schwul war und deshalb keine Erben zeugen konnte. Doch sie konnten alle bleiben, wo der Peffer wuchs oder in einen Vulkan springen, er wollte mit diesem intoleranten Pack nichts mehr zu tun haben. Erneut gab der ehemalige, junge Lord Vollgas und setzte an, einen Wagen zu überholen – er sah noch den Wagen auf der Gegenfahrbahn, doch dann wurde es schwarz, als er durch die Luft geschleudert wurde und hart auf der Straße aufschlug.
Der Wagen, der überholt werden sollte, bremste sofort, während der andere Wagen Gas gab und die Flucht ergriff. "Verdammt !" fluchend, stieg der Fahrer des Autos aus und rannte zu dem Verunglückten. Zum Glück hatte er noch das Nummernschild des anderen Autos sehen können, doch jetzt war der Biker wichtiger. Er kniete sich neben ihn und fluchte leise, als er den schwächeren Puls fühlte. "Sir ? Hören sie mich ?" Als der Mann nicht reagierte, zog er sein Handy aus der Tasche. Dann rief er gleich einen Notarzt und erklärte zügig, was passiert war und wo es passiert war. Als alles angegeben war, legte er auf und blieb bei dem Verletzten liegen. Die Gegend hier war eher ruhig, es war wirklich ein dummer Zufall, daß ein Wagen in genau dem Moment, als der Biker überholen wollte, entgegengekommen war. Es war ein Glück, daß es neben ihm passiert war und nicht vor ihm, sonst hätte er den Mann auch noch überfahren. Luka zitterte ein wenig vor Aufregung, er war allein und hoffte, daß der Notarzt bald kommen würde. Bewegen tat er den Mann nicht und allein nahm er ihm auch nicht den Helm ab, nicht, daß er eine Verletzung noch schlimmer machte.
Und das war auch gut so – denn Lawrence war schlimmer verletzt, als es äußerlich den Anschein hatte. Als der Rettungwagen endlich kam, sprangen die Sanitäter gleich heraus und fluchten lauthals auf, als sie sahen, wie verkrümmt der Biker auf der Straße lag. Sie befürchteten zu Recht, daß die Wirbelsäule verletzt war und legten ihn schließlich so wie er war auf die Trage, da ein erneutes Drehen des Körpers womöglich noch mehr Nerven verletzen konnte. Einer der Sanitäter trat dann auf den Autofahrer an der Seite zu und musterte ihn kurz, ehe er ihn ansprach. "Sind sie der Mann, der uns gerufen hat ? Wenn ja, dann warten sie hier bitte auf die Polizei, sie wird noch ihre Angaben brauchen."
Luka nickte nur und atmete kurz durch. Er hörte auch schon die Polizei kommen und sah dem Krankenwagen nach. Als die Cops ihre Fragen stellten, beantwortete er sie so ruhig wie es ging, und nannte ihnen auch den Wagentyp und die Nummer des Nummernschildes. Er hatte in dieser Hinsicht ein sehr gutes Gedächtnis. Trotz allem dauerte es fast eine Stunde bis er weiterfahren konnte. Er fuhr aber nicht heim, sondern in das Krankenhaus, in das der Mann gebracht worden war. Er wollte sich nach ihm erkundigen, denn er kannte Lawrence aus der Schule. Sie hatten zwar nie miteinander gesprochen, aber er kannte ihn. Und er wusste, daß er es war, weil die Cops seinen Namen erwähnten, die Sanitäter hatten ihn durchgegeben. Im Krankenhaus angekommen erfuhr er nur, daß Law in dem OP war und so wartete er geduldig. Vielleicht würde ihm der Arzt mehr sagen können.
Ein klein wenig vom Warteraum entfernt, konnte man die Stimmen der Empfangsschwestern hören ... sie tratschten darüber, wie tragisch es sei, daß ein so junger Mann so tragisch verunglücken konnte – und dann auch noch eine Familie hatte, die von ihm nichts wissen wollte. Eine Tatsache, die nicht nur das Problem der Bezahlung aufwarf – sondern auch für die wildesten Spekulationen darüber sorgte, weshalb der junge Mann denn nun enterbt worden war. Es dauerte noch eine geraume Weile, bis schließlich ein Arzt in den so gut wie leeren Warteraum kam und sich ein wenig fragend umsah. "Ist hier Jemand für Lawrence von Wayden ?"
Zuerst meldete sich keiner, denn Niemand aus dessen Familie oder Freundeskreis war da. "Ich kenne ihn." Mit den Worten stand Luka langsam auf und kam zu dem Arzt. "Ich bin Luka Garland, ich war mit ihm an einer Schule und habe den Unfall gesehen."
Leise seufzend, blickte der Arzt noch einmal auf das Patientenblatt – dann nickte er und bat ihn, mitzukommen und ging zu seinem Arztzimmer zurück. Als sie die Türe geschlossen und sich gesetzt hatten, blickte der ein wenig ältere Arzt zu dem jungen Mann vor sich und entschied sich, ihm die ungeschönte Wahrheit zu sagen. "Nun – da sie der Einzige sind, der sich überhaupt für den Patienten interessiert, werde ich ihnen die Befunde sagen. Seine Wirbelsäule wurde an einer Stelle teilweise durchtrennt, zum Glück konnten wir einige der Nervenstränge noch retten. Trotzdem wird er die ersten Monate einen Rollstuhl benutzen müssen, da seine Beine zum Teil dauerhaft gelähmt sind. Lediglich die Oberschenkel sind teilweise noch empfindungsfähig – auch sein Unterleib funktioniert noch völlig, so daß er wenigstens in dieser Hinsicht noch autonom sein kann. Im Moment liegt er in einem Stützkorsett, damit die Verletzungen verheilen können ... doch in zwei oder drei Monaten muß er raus. Und genau da fangen seine Probleme an: Er besitzt keinerlei Vermögen und seine Verwandten leugnen ihn und weigern sich, die Behandlungskosten zu übernehmen."
Der junge Mann hatte ruhig zugehört und seufzte leise. Daß so etwas passierte, hatte er wirklich nicht erwartet. Er wusste, daß Lawrence Familie steinreich war, wohlhabender als er selber, er verstand nicht, daß sie nun gar nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten. "Wenn Keiner zahlt, bekommt er nicht die nötigen Therapien, oder ?" Er hakte nach, er ahnte, daß nur das Nötigste gemacht werden würde.
"So ist es, Mister Garland – wenn er jetzt entsprechend behandelt wird, besteht die Möglichkeit, daß er in entsprechender Zeit sogar für kurze Strecken nur noch Krücken braucht, doch diese Therapien kosten sehr viel Geld und er benötigt nebenher konstante Pflege. Ohne diese Gelder wird er nur das Nötigste erhalten, in ein Sozialheim kommen und sein Leben lang auf den Rolltstuhl angewiesen sein." Der Arzt verschönte nichts – für ihn war es besser, die nackte Wahrheit zu sagen und die Tatsachen vorzutragen, als Versprechungen zu machen, die man nicht einhalten konnte und die nur dazu dienten, die Angehörigen zu beruhigen.
Weil keine Angehörigen da waren, die es interessierte. "Dann übernehme ich die Kosten." legte er fest und blickte den Arzt ernst an. "Ich möchte, dass er die nötigen Therapien bekommt." Er konnte zwar selber fast nicht glauben, was er da sagte, aber er konnte Law nicht einfach so verkommen lassen.
Der Arzt hob bei dieser Antwort überrascht eine Braue – doch dann nickte er und seufzte, legte das Krankenblatt an die Seite und blickte ernst zu dem jungen Mann ihm gegenüber. "Ist ihnen klar, daß das eine ziemliche Menge Geld ist ? Die Operationen und danach die Therapien sind nicht billig – und vor allem die Dauerbetreuung wird sehr kostspielig für sie werden, Mister Garland. Haben sie sich das wirklich überlegt ? Bitte verstehen sie mich nicht falsch – ich freue mich, daß wir alles tun können, was uns möglich ist, um Mister von Wayden wieder so gesund wie möglich zu bekommen. Aber ich muß mich bei ihnen wirklich absichern, denn wir müssen schon vor den Behandlungen um die 100%ige Übernahme der Kosten wissen. Krankenhauspolitik."
"Es war schon eher spontan, aber ich bin mir doch ziemlich sicher, dass ich die Kosten tragen kann. Ich bin sehr wohlhabend." Der Arzt wusste es nicht, nur der Oberarzt und einige vom Vorstand wussten, daß Luka den Neubau des Westflügels ermöglicht hatte, indem er dem Krankenhaus nach seinem Erbe eine hohe Geldsumme gespendet hatte. Der Flügel war seit kurzem eingeweiht und beherbergte auch die Reha für Unfallopfer, wodurch die Klink ihren Ruf weitreichend verbessert hatte und nun zu einer der Besten des Landes gehörte. "Wie sieht die Dauerbetreuung aus ?"
Der Arzt nickte, denn man konnte ja innerhalb weniger Minuten nachfragen, ob die Liquidität wirklich stimmte. "Nun – solange er das Korsett trägt, wird er hier im Krankenhaus bleiben und entsprechend behandelt werden. Doch vor allem anfangs ist es bei ihm wichtig, daß er auch geistig gefordert wird ... gerade die Nähe geliebter Menschen gibt vielen Patienten, die gelähmt sind, einen Grund weiterzumachen und sich nicht aufzugeben. Und das hat Mister von Wayden nicht, im Gegenteil – ich denke, er wird wissen, daß er von seinen Verwandten völlig im Stich gelassen wird und sie sind bisher der einzige Bekannte. Seine Verwandten wissen nichts von Freunden – und auch in seinen Sachen konnten wir keinerlei Hinweise auf eine Freundin oder Bekannte erfahren. Dazu sieht es aus, als ob Mister von Wayden Sport getrieben hat und generell Spaß am Leben hatte – das zeigen nicht nur die Tattoos oder die Tatsache, daß er Motorrad fuhr, sondern auch die verblaßten Discostempel an seinen Unterarmen. Er zeigt keinerlei Anzeichen von Drogen oder anderen Suchtmitteln ... ohne seine Verletzung wäre er ein kerngesunder, junger Mann. Und ich fürchte, daß er deshalb in eine tiefe Depression rutschen wird, die zu Suizidgefahr führen könnte - etwas, das verhindert werden muß. Darum auch die Dauerbetreuung in einer entsprechenden Umgebung, wenn er aus dem Krankenhaus entlassen wird."
"Das dürfte kein Problem werden, ich habe Erfahrung mit schwierigen Menschen. Ich arbeite ehrenamtlich im Jugendzentrum." Dort gab es haufenweise Jugendliche, die keine Hoffnung auf irgendetwas hatten. "Ich würde dann gern zu ihm, wenn ich schon darf ? Und nach dem Besuch gehe ich zu der Rechnungsstelle und kläre die Bezahlung."
"Wenn sie sich das zutrauen, ihn nach der Behandlung zu übernehmen ? Sie sind sich schon im Klaren, daß er dann auch bei ihnen wohnen wird ? Es ist eine völlige Lebensumstellung – sie müssen für ihn da sein, und das in jeder Hinsicht. Also nicht nur, daß er bei ihnen leben wird, zumindest anfangs müssen sie ihn auch baden und ankleiden ... und sie müssen eine Schulung absolvieren, die wir üblicherweise den Angehörigen anbieten, um zumindest die nötigsten medizinischen Kenntnisse zu haben." Irgendwie war es dem Arzt noch immer unerklärlich, wie dieser junge Mann sich für den Verletzten einsetzte – doch ihm war es nur Recht, denn dann hätte er zumindest diese Sorge weniger. "Und natürlich können sie zu ihm – ich werde der Schwester nachher Bescheid geben, daß sie zu ihm können, wenn er in seinem Zimmer liegt. Bisher haben wir ihn noch nicht verlegt, da wir nicht wußten, ob seine Kosten übernommen werden können."
"Nun, das werden sie jetzt zu 100% und ich möchte, daß sie ihn in ein Einzelzimmer verlegen ...im neuen Flügel natürlich." Luka zog noch seine Karte heraus und gab sie dem Arzt. "Falls sie mich erreichen wollen, mein Handy ist immer an."
Mit einem kurzen Nicken nahm dieser die Karte an und heftete sie gleich an das Krankenblatt – dann schrieb er noch eine kurze Notiz und stand auf, um dem Jüngeren noch die Hand zu schütteln. "Ich werde sofort veranlassen, daß er verlegt wird – vielleicht könnten sie in der Zwischenzeit in die Rechnungsstelle, dann ist auch das schon geklärt. Ein Pfleger wird sie dann von dort abholen und zu ihm bringen, wenn er verlegt wurde. Und nun entschuldigen sie mich bitte – ich habe auch noch andere Patienten, Heute scheinen keine Schutzengel zu arbeiten."
"Zumindest einer scheint es doch zu tun." wisperte Luka und verließ dann das Büro, um zu der Rechnungsstelle zu gehen. Dort klärte er das Wichtigste und so war die Kostenfrage auch gelöst. Er fragte sich aber noch immer, was ihn da geritten hatte, aber er hatte einfach das Gefühl, daß er das Richtige tat. Als der Pfleger kam, folgte er ihm zum neuen Flügel und fragte leise. "Ist er schon wach ?"
Der schüttelte nur kurz den Kopf, hielt ihm eine der großen Türen auf und ging dann wieder neben ihm her. "Nein – aber es wird nicht mehr lange dauern, vielleicht eine oder zwei Stunden noch. Bitte erschrecken sie nicht, wenn sie ihn sehen – es sieht übler aus, als es ist." Mit den Worten blieb er vor einem der Zimmer stehen und öffnete auch hier die Türe, schloß sie hinter ihnen wieder und nickte zu dem Bett, das in dem abgedunkelten Raum inmitten der piepsenden Geräte stand. "Ich habe ihnen einen Stuhl ans Bett gestellt – sie sind leider nicht bequem, doch wir haben leider keine anderen."
"Ist schon gut und vielen Dank." wisperte Luka und setzte sich an das Bett des Verletzten. Das Gesicht von Lawrence war kreidebleich und der Körper war von der Hüfte bis zum Brustbein in ein Gipskorsett verpackt worden. Neben ihm piepste der Monitor vor sich hin und er hing an einem Tropf. Luka wollte bleiben, bis er aufwachte, und nahm kurz dessen blasse Hand in die seine.
Nach einer Weile kamen zwei Schwestern mit einem Pfleger und schoben noch mehr Überwachungsmaschinen an das Bett des Verletzten, schlossen ihn an und gaben ihm die verschiedensten Medikamente in den Tropf, ehe sie den Beutel des Katheders wechselten und auch die Packen der Infusionen austauschten. Erst nach einer Weile kehrte wieder Ruhe ein und die Medikamente wirkten langsam, so daß die Narkose ihre Wirkung verlor. Das Erste, das Law bemerkte, waren Schmerzen in seinem Rücken und fast überall an seinem Körper ... und ein ekelhaftes, einengendes Gefühl um seinen Torso, sowie das nervige Piepsen der Überwachungsgeräte. Doch irgendwie noch viel deutlicher als das konnte Law eine Hand fühlen, eine eher weichere Männerhand, welche die Seine hielt. Noch im gleichen Moment, in der er dies bemerkte, kehrten die Erinnerungen schlagartig zurück und die Geräte piepsten schon fast panisch auf, als sein Herzschlag sich abrupt verschnellerte. Der Verletzte sah vor seinem inneren Auge noch einmal den Streit mit seinen Eltern und die Fahrt mit dem Motorrad – und der Zusammenprall mit dem Auto, wie er durch die Luft geschleudert wurde und hart auf dem Asphalt aufschlug. Erschrocken aufkeuchend, riß Law die Augen auf und blickte einen Moment lang panisch auf die Gestalt neben sich – dann versuchte er wegzurücken und fluchte heiser, als er sich nicht bewegen konnte.
Luka nahm seine Hand weg, als Law seine halbherzig wegzog. Er wollte ich nicht bedrängen und wisperte ein leises "Beruhige dich, Lawrence. Du bist im schwer verletzt und im Krankenhaus." Das schnelle Piepsen beunruhigte Luka ein wenig und er wollte Law ein wenig mehr beruhigen. "Du musst ruhig liegenbleiben."
Irgendwoher kannte Law diese Stimme – doch noch ehe er fragen konnte, öffnete sich die Türe seines Zimmers und eine Schwester kam hereingestürzt, plapperte auf ihn ein und fingerte überall an ihm herum, während sie irgendwelches Zeug vor sich hinplapperte. Der Blonde haßte es, so behandelt zu werden und verengte die Augen, bis sie einem eisigen Gletscher glichen – doch die Schwester war davon unbeeindruckt und nickte schließlich, setzte noch ein "Der Doktor wird in einer halben Stunde zur Visite kommen, bitte regen sie sich nicht auf." nach und verschwand wieder. Das brachte das Faß zum Überlaufen – hilflos und durch die Schwäche, die noch von der Narkose herrührte, konnte Law nicht einmal etwas anderes tun, als den Kopf zu bewegen und so fluchte er ein heiseres "Verdammt noch eins, was soll das ?!!", ehe er den Kopf wieder zurückfallen ließ und mit den Zähnen knirschte.
Auch Luka war ein wenig sprachlos. Die Schwester hatte ihn von seinem Stuh gedrängt und den Stuhl dann mit einem Hüftschwung weggeschoben. Luka schob ihn wieder dichter an das Bett und setzte sich. "Ich weiß nicht, ob du mich noch kennst. Ich bin's - Luka, der Knipser. Du hattest meinen Wagen überholen wollen, als der Andere in dich reinkrachte. Ich hab den Notarzt gerufen, du bist im Krankenhaus und schwer verletzt. Die Narkose von deiner OP wirkt noch, deswegen fällt es dir so schwer, dich zu bewegen." Der Schwarzhaarige erklärte leise und hoffte, daß Law sich doch noch beruhigte.
Die Brauen tiefer in seine abschätzend verengten Augen ziehend, betrachtete Law den Anderen, als dieser sprach – dann klickte es plötzlich und er knurrte leise. "DU ?? Dieser nervige Knipser für das Collegeblatt ? Verdammt, hab ich ein Glück – ausgerechnet du. Weißt du was ? Du hast genug Samariter gespielt und deine Pflicht getan – du hast mich ordnungsgemäß gemeldet, abgeliefert und jetzt verzisch dich ! Laß mich gefälligst allein – wenigstens ist meine verschissene Verwandschaft nicht da !"
"Freundlich wie immer." stellte Luka fest und grinste schief. Doch er wurde schnell wieder ernst. "Ich werde noch bleiben, bis der Arzt da war." legte er fest und blieb einfach sitzen. "Und du solltest dich beruhigen, so kurz nach der OP ist Aufregung nicht so gut." Wie er ihm sagen sollte, daß er querschnittsgelähmt war und daß er sämtliche Kosten übernommen hatte, wusste er aber noch nicht.
Mit einem kurzen Schnauben legte Law den Kopf wieder auf das Kissen und schloß einen Moment lang die Augen, ehe er sie wieder auf den Anderen richtete und ihn wütend anfunkelte. "Ach mach doch was du willst – ich will endlich wissen, was mit mir los ist und wie lang ich noch hierbleiben muß, ich HASSE Krankenhäuser !" Dann verstummte er und blickte demonstrativ in die andere Richtung, darauf wartend, daß endlich der Arzt kam. Es paßte ihm nicht, daß Luka noch immer dasaß – und das noch als einziger. Doch eigentlich wunderte es ihn nicht, daß keiner aus seiner Familie da war, denn er konnte sich lebhaft vorstellen, wie sie sich darüber ärgerten, daß er nicht gleich gestorben war. Doch dann kam ihm ein anderer Gedanke ... er hatte eine OP hinter sich und sein Körper war in Gips. Allein schon der Gedanke daran, was das wohl kosten würde, ließ sein Gesicht verfinstern, doch bevor er sich zu sehr reinsteigerte, würde er lieber abwarten, was der Arzt ihm sagte.
"Du wirst, wie es aussieht, ein paar Wochen hierbleiben müssen ... deine Wirbelsäule ist gebrochen." Luka fiel es schwer, ihm das zu sagen, aber der Arzt hätte es ihm sicher nicht so ruhig gesagt, sondern irgend ein Ärztegeplapper losgelassen. "Der Bruch muss verheilen."
Wenn der Schwarzhaarige eine Pistole gezogen und sie Law an die Stirn gehalten hätte, wäre die Reaktion nicht viel anders gewesen. Der Verletzte erbleichte sichtbar und für einen Moment lang starrte er Luka nur an – dann blickte er an sich herab und ließ den Kopf nach hinten fallen, schloß die Augen und versuchte, erst einmal an gar nichts zu denken. "Wie schlimm ist es ? Scheinbar weißt du ja Bescheid ... und sag mir die Wahrheit, ich will es wissen."
"Nun ja." begann Luka und strich sich kurz durch sein dunkles Haar. "Dein Knochenmark ist wohl fast durchtrennt. Der Arzt sagte, daß du deine Beine nicht bewegen kannst, aber ansonsten kannst du deine Hüfte fühlen. Im Moment wohl noch nicht, weil die Schwellung noch nicht abgeklungen ist. Aber mit einer entsprechenden Reha wirst du mobiler werden. Im Moment musst du noch das Gipskorsett tragen, damit nicht doch noch etwas passiert, in drei bis vier Wochen wird es abgenommen." Man merkte, daß es ihm schwerfiel, aber es war doch besser, als wenn der Arzt es ihm sagte. Er wusste, wie hart so etwas sein konnte, als sein Großonkel im Sterben lag, hatte er eine Arzterklärung der übelsten Art am eigenen Leib erfahren müssen. "Die Kosten für alles sind wohl gedeckt worden." Daß er sie zahlte, sagte er lieber nicht und er hoffte, daß der Arzt klug genug war, auch nichts zu sagen.
Der stand schon seit einigen Minuten vor der Türe und lauschte ein wenig dem Gespräch im Inneren – es half ihm viel, da er nun in etwa einschätzen konnte, was er wie sagen mußte. Nun trat er ein und grüßte, schloß die Türe hinter sich und kam zum Bett, um dem wütenden Blick seines Patienten zu begegnen. "Es ist erstaunlich, daß sie schon wach sind, Mister von Wayden ... eigentlich hätte ich das erst in einer Stunde erwartet, es spricht für ihre Gesundheit. Was ihnen Mister Garland ihnen sagte, stimmt zum Großteil – durch den Unfall wurden einige ihrer Nervenstränge in der Wirbelsäule durchtrennt, als sie bei dem Aufprall brach. Sie haben aber noch großes Glück gehabt – sie können alle Funktionen ihres Unterleibs noch wie bisher selbst steuern und wenn ihr Körper auf die Reha gut anschlägt, werden sie in den Oberschenkeln noch Gefühl haben. Die besten Prognosen wären, daß sie für kurze Strecken sogar Krücken nehmen könnten – doch das liegt noch in der fernen Zukunft, im Moment ist es wichtiger, daß ihre Wirbelsäule wieder heilt. In einer Woche werden wir sie noch ein weiteres Mal operieren müssen – und je nachdem, wie gut sie heilen, werden noch zwei bis vier Wochen vergehen, bis das Korsett entfernt werden kann. Danach erfolgt die Reha – und machen sie sich keine Sorgen, als ich hörte, daß sie nicht unterstützt werden, habe ich auf einen Privatfond eines Gönners zurückgegriffen, um die Kosten ihres Falles zu übernehmen." Ihm antwortete nur ein kurzes Knurren und dann ein schroffes Nicken – jegliche Hoffnungen, die sich Law für die Zukunft gemacht hatte, waren nun völlig zerstört und im Moment sah er vor sich nur ein schwarzes Loch. Zumindest saß er nicht auf Schulden – auch wenn es ihm nicht paßte, sich aushalten zu lassen. Der Arzt nickte nur noch einmal und wandte sich dann mit einem "In einer Stunde wird die Schwester noch einmal zu ihnen kommen und nach ihnen sehen – in der Zwischenzeit wird Mister Garland hierbleiben und auf sie aufpassen." ab, ging und schloß die Türe wieder hinter sich.
Und Luka schnaufte innerlich ziemlich erleichtert auf. Allerdings sprach das Gesicht von Law mehr als irgendwelche Worte. "Möchtest du etwas trinken ?" Die Fragte rutschte dem Schwarzhaarigen heraus, vielleicht auch, weil er selber Durst hatte und Lawrence hatte dann sicher noch mehr Durst.
Einen Moment lang spielte der Verletzte mit dem Gedanken, einfach zu schweigen und es so abzulehnen – doch dann würde er eine der Schwestern bitten müssen, und das war noch beschämender. "Ja – aber sorg vorher dafür, daß ich mit dem Kopf höher liege, ich will nicht auch noch ersticken, weil ich mich verschluckt habe !"
"Der Becher hat einen Trinkhalm." erklärte Luka, doch er nahm dann doch die kleine Fernbedienung und stellte das Bett ein klein wenig höher. Als das geschehen war, nahm er den Becher und führte den Strohalm an den Mund von Law. Selber halten konnte er ihn sicher noch nicht, dafür war er noch zu geschwächt. Als er getrunken hatte, stellte Luka den Becher wieder auf das Tischlein und schwieg einige Zeit, weil er nicht ganz wusste, was er sagen sollte. Dann aber wusste er es. "Wenn du aus dem Krankenhaus kommst, dann wohnst du bei mir, ich hab schon mit dem Arzt gesprochen. Er meinte, du brauchst eine Dauerbetreuung und ich dachte, in ein Pflegeheim willst du sicher nicht verfrachtet werden. Deine Familie scheint kein Interesse an deinem Wohlergehen zu haben."
"Die Idioten können mir gestohlen bleiben – von mir aus sollen sie alle an ihrem Geld verrecken. Aber warum machst du das, Knipser ?! Und komm mir nicht mit reiner Nächstenliebe, sogar ein Samariter wie du macht das nicht umsonst. Also verkauf mich nicht für dumm, klar ?" Es tat Law sichtlich gut, daß er nun keinen solch trockenen Mund mehr hatte, und das hörte man auch an seiner Stimme. Er war noch immer sehr harsch in seiner Stimme, denn einerseits fraß das Schicksal, dem er jetzt ausgesetzt war, an ihm, wie auch die völlige Gleichgültigkeit seiner Verwandten und die so seltsame, ungewohnte Hilfsbereitschaft des Fotografen.
Luka war aber schon immer hilfsbereit gewesen und er wusste, daß es für Law ungewohnt war. Seine Familie war sehr kalt und lieblos. Bei einem Ball, bei dem sein Großonkel eingeladen worden war, hatte er sie live erleben können. "Ich hab das Haus von meinem Großonkel geerbt, ich wohne da ganz allein und wollte mich eh nach einem Untermieter umsehen. Ich habe es angeboten und die Stiftung zahlt die Miete." Er log, aber alles andere würde Law nicht akzeptieren. "Ich denke, es ist besser, als wenn man dich in ein Pflegeheim steckt, das würde die deutlich teurer kommen."
Das wußte auch Lawrence und so schloß er einen Moment die Augen, runzelte die Stirn, als er nachdachte, und hob schließlich schwach die Hand, um sich über das Gesicht zu streichen. Erst dann blickte er wieder zu Luka und antwortete ihm. "Okay – die Heime sind sogar um Einiges teurer. Aber warum willst du Pfleger spielen ? Und komm mir nicht damit, daß dus gerne tust. Das glaube ich dir nicht !"
"Ich ..." Luka musste wirklich kurz nachdenken. Er hatte es nicht gewusst, aber jetzt wusste er, warum er das Ganze überhaupt machte. "Ich fände es schön, wen um mich zu haben, der gleichalt ist. Und ich hab Erfahrung, was Krankenpflege angeht. Wenn ich meinen kranken Großonkel mit seinem Krebsleiden pflegen konnte, dann ist es mit dir ein Klacks. Und wenn du wieder fit bist, kannst du gern weiterhin bei mir wohnen, außer du willst weg."
Die Antwort überraschte Law – er hatte vieles erwartet, doch keine so ehrliche, simple Antwort. Doch gerade deshalb konnte er es nachvollziehen und seufzte schließlich müde, strich sich noch einmal über das Gesicht und nickte schließlich. "Okay – aber eins nach dem anderen, erstmal muß ich diesen verdammten Gips wegkriegen. Wenigstens bin ich es gewohnt, auf dem Rücken zu liegen, sonst würde ich jetzt wahnsinnig werden." Dann verstummte der Verletzte wieder und grummelte leise über die Unbequemlichkeit des Korsetts, ehe auch das verstummte und er schließlich wieder einschlief.
Erst jetzt lächelte Luka ein wenig und ließ die Rückenlehne des Bettes wieder hinab. Morgen würde er wiederkommen und ein wenig was zum Naschen mitbringen. Müde und hungrig stand er auf - verließ das Zimmer und wenig später auch das Krankenhaus und machte sich auf dem Weg zu der kleinen Villa, in der er alleine wohnte.
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