Hale und Anichino 01
Ja, der große Tag, Omi hüpfte Gestern schon immer quer durch das Haus, weil er es kaum erwarten konnte, daß es Nacht wurde und dann wieder Tag und daß er dann mit Hale zum Kirschblütenfest fahren konnte. Jetzt saßen sie zusammen im Wagen, Beide hatten einen schönen Kimono an. Hale einen für Männer, nur Omi hatte einen an für Frauen, weil er die schönen Farben so mochte. Er trug extra einen mit Kirschblüten drauf. Schon auf den Weg nach Kyoto blühten die Bäume, es blühten auch schon die Bäume im Garten des Hauses, aber da war kein Fest, das war in Kyoto in den Gärten des alten Kaiserpalastes. "Nu hock still, Omi...Ich will kein Unfall bauen." mahnte Hale und Omi versuchte, still zu sitzen. Was aber dann wieder vergebens war, als die Gärten in Sicht kamen. Omi quietschte so auf, daß Hale fast den Lenker verriss. "Verdammt Omi, du benimmst dich wie ein Kleinkind !" Er bog ab und fand dank guter Beziehungen Shagens einen reservierten Parkplatz. Kaum, daß sie gehalten hatten, sprang Omi aus dem Wagen und rannte zum ersten Kirschbaum, der ihm ins Auge fiel. Doch stolperte er dabei über seinen Kimono und lag dann lang im weichen Frühlingsgras.
Nicht allzuweit davon entfernt hob ein junger Mann seinen Kopf und stutzte bei dem Krachen und den darauf folgenden japanischen Stimmen ... doch dann schmunzelte er nur und fing eine der filigranen Kirschblüten auf, die eine sachte Brise von dem überreich blühenden Kirschbaum wehte, unter dem er saß. Wunderschön ... so schlicht und doch so vollkommen lag die rotrosane Blüte auf seiner Hand und er legte sie sanft auf das helle Reispapier, das er auf einer Unterlage auf seinen überkreuzten Beinen ruhen hatte. Sorgsam tauchte Anichino seinen Pinsel in das Wasser und dann in die dunkelrote Tusche – begann, langsam und mit unendlicher Geduld Kirschblüten an den schlichten Baum seines Bildes zu malen, doch diesmal nach einer lebenden Vorlage und nicht nach einem Foto wie bei dem Bild, das der Grund seines Hierseins war. Anichino war Florentiner – er liebte Pflanzen und das Malen und so hatte er sich mit einem Bild bei einem Wettbewerb seiner Lieblingsgartenzeitschrift beworben. Wider Erwarten waren die Juroren so begeistert davon, daß er den Wettbewerb gewann – und nun genoß er seinen Gewinn, einen Flug samt Hotel nach Japan zum Kirschblütenfest, etwas, das er schon immer sehen wollte, seit er zum ersten Mal davon gehört hatte. Und nun war er hier – saß unter einem dieser herrlichen Bäume und genoß die hauchzarten Blüten, die hin und wieder um ihn herum herabregneten, fing die eine oder Andere und betrachtete sie, um sie nun in seinem Bild einzufangen.
Hale hatte seufzend den Wagen abgeschlossen und half Omi nun wieder auf die Beine. "Pass doch auf, Kleiner... Kuck, jetzt hast du schon Grasflecken auf deinem schönen Kimono." Omi war jedoch schon wieder abgelenkt, da saß einer unter einem der Kirschbäume und malte. Somit stürmte der zierliche Japaner wieder drauf zu und hockte sich einfach zu dem malenden Ausländer, um ihn über die Schulter zu kucken. "Ui, schön." wisperte er, als er das Bild sah. "Hale, komm mal kucken !" Hale schlug rieb sich die Augen. Warum musste immer er den kleinen Flohsack hüten ? "Do you speak English ?" fragte Omi den Ausländer, damit er ihn in Englisch löchern konnte, um zu erfahren, warum er als Ausländer japanische Bilder malte.
Ein klein wenig verdutzt sah Anichino auf und lachte leise beim Anblick des jungen Mannes – es war ein fröhliches, leises Lachen, das so freundlich war wie sein Blick. "Natürlich spreche ich Englisch ... nicht so gut, wie ich möchte, aber ich denke, es reicht. Du hast einen herrlichen Kimono, die Blüten sind fast wie echt ...." Mit den Worten legte der Italiener den Pinsel zur Seite, hob seine Hand und berührte sacht die erhaben aufgenähten Blüten auf dem Stoff, strich hauchzart darüber und zog die Finger dann wieder zurück.
Omi nickte heftig. "Ja, er ist Klasse, leider hat er jetzt ein paar Grasflecken, weil ich eben hingefallen bin." schnatterte er in englisch los und sah erst auf, als ein leises, aber bestimmtes "Omi." von Hale kam, der nun vor den Beiden stand und auf sie hinabsah. "Verzeihen sie bitte, er freut sich schon seit langsam auf das Fest und ist ein wenig überdreht." Omi zog darauf eine Schnute. "Ich bin nicht überdreht, ich freu mich nur so."
Überrascht sah der Italiener auf und musterte den großen, breiten Mann, dessen Akzent ihn unverkennbar als Amerikaner kennzeichnete, trotz des asiatischen Aussehens – obwohl schon ein wenig älter, war er eine Augenweide und Anichino lächelte sanft und schüttelte nur leicht den Kopf. "Sie brauchen sich nicht für ihn entschuldigen, er stört mich nicht. Und ich kann ihn verstehen – dieses Fest ist wundervoll, ebenso wie die Kirschbäume. Es ist herrlich, sie einmal hier sehen zu können, die europäischen Gärten können sich nicht damit messen ...."
Hale griff sich trotzdem den Kleinen an der Hand und zog ihn zu sich. "Ich war auch sehr beeindruckt, als ich es das erste Mal sah...Ich wünsche ihnen noch viel Freude an den Blüten, auch wenn sie fast verblassen bei ihrer Anwesenheit." Hale lächelt sacht. Der junge Mann war wirklich bezaubernd. Omi hingegen kuckte wie ein Auto wegen den Worten und biss Hale dann in die Hand, die ihn an der Hand hielt. Das jedoch so fest, daß Hale zusammenzuckte. "Omi...Mach das nochmal und ich fang dir keinen Goldfisch." Das zeigte Wirkung und der schlanke Japaner sah ihn geschockt an. "Aber Hale !"
Bei der Reaktion des Kleineren schmunzelte Ani leise – dann nahm er seinen Pinsel wieder zur Hand und lächelte, als er zu dem Großen sprach. "Ich danke ihnen für dieses wunderschöne Kompliment – und es ist mir eine Freude, sie getroffen zu haben, Hale. Sie sollten ihrem Schützling einen wirklich schönen Goldfisch fangen, damit machen sie ihm sicher eine sehr große Freude ...." Bei den sanften Worten des Großen war eine sachte Röte auf den Zügen des Italieners erwacht und zeigte, daß ihn das Kompliment berührte ... doch er war sich nicht sicher, wie dieser quirlige, junge Mann zu ihm stand und wollte nicht unhöflich sein und mit ihm zu flirten beginnen, wenn er in festen Händen wäre.
"Das werde ich...Ich wünsche ihnen dann noch viel Freude an den Blüten und dem Fest." Hale verneigte sich leicht und wandte sich ab. Omi winkte noch freudig. "Viel Spaß noch beim malen." Dann hüpfte er schon wieder herum und zog an Hales Arm, damit er schneller ging.
Noch immer ein wenig verwundert sah der Italiener den Beiden nach ... dann schmunzelte er wieder und widmete sich erneut seinem Bild, auch wenn seine Gedanken immer wieder zu dem großen Japaner zurückkehrten, der ihm so unerwarteterweise dieses schöne Kompliment gemacht hatte. Anichino dachte auch an den kleinen Schützling, der so gerne einen Goldfisch haben wollte – er hatte von dieser Tradition gehört und schmunzelte, als er daran dachte, wie mühsam es sein mußte, mit den Reispapierköschern einen der Fische zu fangen. Doch dann versickerten die Gedanken wieder, als er weitermalte - die rosanen Kirschblüten setzte und schließlich damit begann, hauchzarte Schmetterlinge zu zeichnen, die dem Bild eine herrliche Leichtigkeit gaben.
Derweil zog Omi den Großen zu den Goldfischen. Er wollte sofort einen haben, bevor Hale es sich doch anders überlegte. Da Hale sehr geschickt war, hatte er auch gleich beim ersten Mal einen gefangen. Omi versuchte sich selber auch daran, doch jedes Mal zerriss das Papier, bis Hale bemerkte, daß der Verkäufer draufhauchte und mit den Fingern gegenschnippte. Unauffällig packte er ihn sich und sprach leise aber ziemlich kalt zu dem Mann, daß, wenn Omi nicht gleich ein Fisch selber fangen sollte, er dann mit dem Fischbecken Bekanntschaft machen sollte und das so lange, bis der selber aussah wie ein Fisch. So bekam Omi einen nicht getürkten Köcher und dann klappte es auch sofort. Hale war sichtlich zufrieden und Omi mehr als happy, weil er selber einen gefangen hatte und nun zwei Fische hatte. So vertrieben sie sich die Zeit. Hale zeigte eine Engelsgeduld mit Omi, der ihn hier und dahin zog, dies und das wollte und einfach nur zu gut drauf war, als daß man ihm was abschlagen konnte. So verging die Zeit schneller, als gedacht und es dämmerte langsam. Omi wurde müde und ruhiger, ein Zeichen für Hale, daß sie den Rückweg antreten sollten, wenn er Omi nicht zum Auto tragen wollte.
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Anichino hatte in der Zwischenzeit noch einige Bilder gefertigt und räumte nun seine Pinsel und Farben wieder in den Rucksack ... gerade, als er noch überlegte, ob er etwas lesen oder sich etwas zu essen besorgen sollte, hörte er schon wieder lautes Krachen in dem nahen Gehölz, doch diesmal war es anders. Man konnte auch wütende und ängstliche Stimmen hören, die scheinbar mit einander stritten, doch der Italiener war sich nicht sehr sicher, da er das Japanisch nicht verstand. Irgendwie wurde er unruhig ... doch er blieb sitzen, denn er hoffte, daß diese Stimmen sich wieder entfernten und nicht auf die Wiese kämen, in der auch der Kirschbaum stand, unter dem er saß.
Doch die Männer kamen auf die Wiese. Rücklings und mit zu erklären versuchenden Worten, wich ein Mann von ihnen weg. Doch das schien nichts zu nutzen, der eine zog eine Pistole mit Schalldämpfer und schoss auf den Kopf des Mannes. Dieser kippte gleich nach hinten und blieb reglos liegen. Erst jetzt bemerkten die Männer den Ausländer und fluchten leise. Doch der mit der Waffe zögerte nicht lange und schoss auf Anichino. Da sie wen kommen hörten, flohen die Männer und waren verschwunden. Omi hüpfte wieder im Dunkeln vor Hale her und fiel dann über etwas rüber. Als er merkte, was es war, kreischte er auf und versuchte panisch von der Leiche wegzukommen. Hale zog ihn sofort zu sich und mit zum Auto. Er setzte den Jungen hinein und ging dann mit einer Taschenlampe und einer Waffe zurück zu der Leiche.
Entsetzt hatte Anichino dem zugesehen und wußte schon, als der Eine die Waffe zog, daß sein Leben verwirkt war. Er war nicht umsonst Italiener und kannte zwangsläufig die Gepflogenheiten der Mafia – und er wußte, daß es hier in Japan auch eine Mafia gab. Als ihn die Kugel traf, keuchte er leise und sackte sofort zur Seite ... alle Kraft hatte seinen Körper verlassen und er fühlte nurmehr, wie sein Blut aus der tiefen Schußwunde über dem Herzen rann und sein Körper langsam kälter wurde. Er fühlte auch Schmerz – doch irgendwie war dieser nicht so wichtig, das Gefühl des kühlen Grases unter seiner Wange war viel deutlicher und auch irgendwie realer. Doch dann hörte er einen weiteren Schrei und hoffte, daß nicht noch Jemand getötet worden war ... er selbst konnte sich weder rühren noch bemerkbar machen, denn sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Erst, als er einen Schatten mit einer Lampe erkennen konnte, keuchte er leise ... er hatte Angst, auch wenn er wußte, daß er diesen Schuß ohne Hilfe nicht überleben würde, so wollte er nicht noch mehr Schmerzen ertragen.
Durch das Keuchen aufsehend, leuchtete Hale in dich Richtung, aus der es kam. Der Lichtkegel traf auf den Italiener und Hale erbleichte. "Shit... Warum ist er noch immer hier ?" Er stürzte auf Anichino zu und legte ihn vorsichtig auf den Rücken. "Keine Angst, ich helfe ihnen." wispernd. Er öffnete das Hemd und verzog das Gesicht bei der Wunde. Sie musste knapp über dem Herzen sein, doch nicht so, daß eine Ader getroffen war, also konnte man ihn bewegen. Trotz allem zog er ein Tuch aus dem Ärmel seine Kimonos und drückte es vorsichtig auf die Wunde. "Schön wachbleiben, ja ?" Er hob ihn nun hoch und schaffte ihn zum Wagen, er musste ihn hier wegbringen. Das war eine Mafiasache gewesen und da war es besser, nicht hierzubleiben oder die Polizei einzuschalten. Vorsichtig legte er Anichino auf den Rücksitz des Wagens. Omi war auf seinen Befehl nach hinten geklettert und der Kopf des Italieners lag nun auf dessen Schoß. "Drück das Tuch weiter auf die Wunde." Omi nickte leicht abwesend und tat was Hale sagte. "Wird alles wieder gut." Zu dem Angeschossenen wisperte.
Dieser hatte eigentlich nicht sehr viel wahrgenommen – nur, daß eine sanfte Stimme auf ihn einsprach und daß er getragen wurde. Doch bei den letzten Worten, die zu einer anderen Stimme gehörten, drang ein Gedanke zu Anichino durch und er wisperte ein leises "Meine ... Sachen ... der Rucksack ....", ehe er wieder verstummte und leise keuchte, denn der Blutverlust schwächte ihn immer mehr.
"Verdammt, stimmt ja......Okay." wisperte Hale und schlug die Hintertür zu. Er rannte noch zum Baum und sammelte so schnell es ging, alle Sachen ein, die er dann einfach auf den Vordersitz packte. Dann ging er herum und stieg ein, um dann so schnell es ging, zur Drachenhöhle zu fahren.
Das bekam der junge Italiener allerdings nur noch verschwommen mit, ebenso wie die Autofahrt oder die leisen Worte des jungen Mannes, auf dessen Schoß er lag – Anichino versuchte, wach zu bleiben, doch die Schwärze nahm immer mehr zu und es lockte, es lockte so verführerisch, ihr nachzugeben und einfach nur zu schlafen, den Schmerzen und der Kälte zu entkommen.
"Nicht einschlafen, bleib wach." wisperte Omi und tätschelte vorsichtig das Gesicht des Ausländers. Hale raste derweil zurück zur Drachenhöhle, wie sie das Haus von Shagen liebevoll nannten. Er hatte auch gleich angerufen, damit Matze bereit war, ihn sich anzusehen. Als sie endlich da waren, kam es Hale vor, als seien Stunden vergangen. Omi redete noch immer auf den Fremden ein und versuchte, ihn wachzuhalten, doch es war vergeblich. Matze öffnete sofort die Tür und fühlte den schwachen Puls Anichinos. "Los Hale, rein mit ihm." Er machte Platz, damit Hale den jungen Mann aus dem Wagen holen konnte und ihn hinauftrug. Im Arztzimmer des Hauses legte er ihn auf das Bett und Matze zog sich Gummihandschuhe über. Shagen war gleich mit hinauf gekommen und half ihm dabei, den Ausländer auszuziehen. Hale ging, damit er Omi beruhigen konnte, der Junge war käsebleich gewesen, der Kimono voller Blut. Dies war nicht der schöne Tag, den er sich gewünscht hatte. Mit Kennerblick erfasste Matze, daß die Kugel noch in der Schulter des jungen Mannes steckte. Ein Glück, denn sonst wäre sie zertrümmert gewesen. Zu allererst gab er Anichino eine Spritze, so schlief er kontrolliert und hatte gleich noch ein Schmerzmittel intus. Erst jetzt klemmte er ihm eine Klemme an den Finger und stellte einen Monitor ein, der leise vor sich hinpiepste. "Gut, dann mal los." Matze zog die kleine OP-Lampe näher und schnitt mit dem Skalpell die Wunde ein wenig weiter auf. Er achtete darauf, wie er schnitt, klemmte nun Klammern an die Wunde, um sie aufzuhalten und griff nach einer Zange. Mit der Zange griff er die Kugel und diese löste er aus dem Knochen. Beim Knirschen biss Matze die Zähne zusammen und dann.. Ja, er hatte sie und ließ sie klirrend in die kleine Schale fallen, die Shagen in der Hand hielt. Er stellte die Schale beiseite und half dem Blonden, die Wunde zu versorgen, er tupfte und ging Matze zur Hand, während er mit kleinen Stichen nähte. "Er hat viel Blut verloren. Ich hänge ihn zum Aufpäppeln an einen Tropf." Der Hausherr nickte zustimmend und erhob sich. Matze schaffte den Rest auch noch allein. Jetzt würde er noch nach Omi sehen und Hale hinaufschicken, daß er über den Ausländer wachte.
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Erst nach einiger Zeit lichtete sich die Schwärze in Anichinos Gedanken und wich einer leichten Benommenheit ... langsam drsngen Geräusche in seine Wahrnehmung, das leise Piepsen eines Gerätes, Vogelstimmen, die zwitscherten und die sachte Wärme von Sonnenstrahlen. Trocken schluckend, da sein Mund sich wie Sandpapier anfühlte, versuchte der junge Maler, sich zu bewegen – doch als ein stechender Schmerz durch seine linke Schulter brannte, hielt er sofort inne und keuchte leise auf.
Durch das Keuchen erwachte Hale, er war eingenickt irgendwann in der Nacht und sah jetzt auf. "Bleib liegen." wisperte er sanft und stand aus dem Sessel auf, in dem er gesessen hatte. Er kam leise zum Bett und strich Anichino über die Stirn. "Möchtest du was trinken, Anichino ?" Den Namen hatte er aus dem Reisepass erfahren.
Nur zögernd öffneten sich die Lider des Schlankeren und er sah zu dem Anderen hoch – langsam erwachte ein Lächeln auf seinen Lippen und er wisperte ein leises "Hale ....", ehe er wieder verstummte und leise keuchte. Dann wisperte er noch ein tonloses "Wasser...?", ehe er die Augen wieder halb schloß und nur sacht atmete, da es schmerzte. Es wunderte ihn ein wenig, daß dieser große Japaner neben ihm saß und daß er selbst noch lebte ... daß Hale auch seinen Namen kannte. Doch es war so schwer zu denken und so ließ er es wieder, versuchte jedoch schwach, nach dessen Hand zu greifen.
Hale half ihm und ergriff sacht dessen Hand. Mit der anderen Hand nahm er die Schnabeltasse mit dem Wasser und setzte sie Anichino an die Lippen. "Trink langsam."
Langsam rann die angenehm kühle Flüssigkeit in seinen trockenen Mund und weiter in seine Kehle ... es tat so gut und Anichino mußte sich gewaltsam zurückhalten, um langsam zu trinken. Erst nach einer Weile hörte er auf und sank wieder zurück ... sah wieder zu dem Größeren hoch und erneut lächelte er, als er ein leises "Du siehst müde aus .." zu ihm wisperte.
"Nun, ein Tag mit Omi kann sehr, sehr anstrengend sein." erklärte Hale leise und lächelte warm, doch sein Blick wurde dann etwas besorgter. "Wie fühlst du dich ?" fragte er nach und stellte die Tasse dann auch wieder beiseite. Seine Hand lag noch immer auf der des schlanken Italieners, er hatte das Gefühl, daß er sich so besser fühlte.
Und das Gefühl trog ihn nicht - die Anwesenheit Hales beruhigte ihn wirklich und langsam wurde sein Lächeln ein wenig tiefer. "Das ... kann ich mir vorstellen, er ... er ist sehr lebhaft ? Bitte verzeih, mein Englisch ..." Anichino wußte, daß sein Wortschatz nicht sehr groß war und auch der Akzent es nicht erleichterte ... doch dann sah er wieder zu ihm auf und wisperte eine leise Frage. "Wie ... wie komme ich hierher ... und zu dir ? Ich kann mich nicht richtig erinnern ... so verschwommen ... deine Stimme, ich habe dich gehört ... und Omi ...?"
"Wir haben dich hergebracht, nachdem wir dich angeschossen gefunden haben. Das war ne Mafia-Sache und ich vermute, du warst ein Zeuge, den sie beseitigen wollten... Dich liegenlassen konnten wir nicht, da wärst gestorben und Polizei auch nicht wegen der Mafia, verstehst du ?" erklärte Hale ruhig. "Du bist hier im Haus des Silbernen Drachen...Ist ein Bordell, aber Keiner hier tut dir was."
"Keine Polizei, bitte ... ich ... Probleme. Ich weiß, es war Mafia ... ich werde nichts sagen, bitte, Hale." Man sah ihm an, daß er Angst hatte – und auch, daß er keinerlei Ahnung davon hatte, daß dieses Bordell sicherer war, als irgend ein anderer Ort. Seine Hand schloß sich haltsuchend um die des Größeren und er zuckte zusammen, als das Gerät laut piepsend seinen schnelleren, fliehenden Herzschlag anzeigte.
"Ganz ruhig, keine Polizei, dir wird hier nichts passieren, Anichino, du bist hier sicherer als irgendwo anders...Gerade hier bei Shagen." Hale drückte die Hand leicht und strich dem Kleineren beruhigend über die Wange. "Beruhig dich bitte."
Fast sofort wurde sein Herzschlag wieder ruhiger und die Panik schwand aus den von seiner Schwäche leicht vernebelten, indigoblauen Augen ... erneut erwachte ein Lächeln auf Anichinos Lippen und er wisperte ein leises "Du hast warme Hände ...", ehe er wieder verstummte und leise atmend Kraft schöpfte. "Wer .. ist Shagen ? Und wie ... wie schlimm ist es ? Ich habe Angst, Hale ..."
"Shagen ist der Hausherr." erklärte Hale mit beruhigender Stimme. "Du hast eine Kugel in die linke Schulter bekommen. Du hast einiges an Blut verloren, deswegen fühlst du dich so schwach. ...Und das Schmerzmittel haut auch noch mal drauf... Matze hat dich an den Tropf gehängt, damit du ein wenig aufgepäppelt wirst... Du wirst dann nur ne kleine Narbe behalten." Er musste lächeln, da er fühlte, wie der Daumen des Italieners über seine Hand strich. "Du brauchst also wirklich keine Angst zu haben."
Anichino nickte leicht und seufzte ... langsam drehte er den Kopf und sah auf die dick bandagierte Schulter, den Verband, der auch seinen Oberkörper bedeckte und seufzte leise. "Mein Rucksack ... hast ... hast du ihn mit ?" Erst jetzt kam ihm, daß er ja seine Sachen dabeigehabt hatte – durch das Schmerzmittel verzögert, brach die Panik, sie verloren haben zu können erst jetzt auf ihn herein und er klammerte sich schwach mit den Fingern an die Hand Hales, sah ihn bittend an.
"Alles da, keine Bange." beruhigte Hale und nickte zu dem Sessel neben dem Sessel, auf dem er gesessen hatte. Dort lag der Rucksack und alles Andere, das Hale noch aufgeklaubt hatte in der Eile. "Ich hoffe, es fehlt nichts." Ein Klopfen ließ ihn zur Tür sehen und Matthias trat ein mit einem kleinen Tablett und einer Brühe. "Wie ich sehe, ist der Patient wach.... Ich bin Matthias Müller... Kannst mich auch Matze nennen." Er sprach nun fließend Italienisch und kam neben das Bett, wo er das Tablett auf ein Schränkchen mit Klapptisch stellte, wie es sie in Krankenhäusern gab.
Ein leises "Grazie..." [Danke] wispernd, sah der Verletzte zu dem Blonden auf – musterte ihn einen Moment lang neugierig und lächelte dann wieder, ehe er ihm leise auf Englisch antwortete. "Ich danke dir, Matze ...? Ich möchte nur nicht Italienisch sprechen, da es Hale gegenüber nicht fair wäre ... bist du ... Arzt ?" Anichino schloß es aus den Worten des Anderen und hoffte es gleichzeitig auch – er war noch immer unsicher, doch allein schon die Tatsache, daß der Rucksack mit seinen geliebten Sachen hier war, beruhigte ihn noch ein wenig mehr.
"Nicht direkt, aber ich weiß genug." Matze zwinkerte und schob das Tischlein so, daß es über das Bett ging. Hale drückte er dann den Löffel in die Hand. "Darfst du machen... Ich hab unten einen Kunden, der verarztet werden will....Muss mich noch schick machen." Er lachte kurz auf. "Ich sehe bald wieder nach dir." Somit verabschiedete er sich und Hale blieb grinsend zurück. "Er ist unverbesserlich."
Es dauerte einen Moment, bis Anichino die Worte verstanden hatte – doch deren Sinn kam ihm nur langsam und er sah fragend zu Hale auf. "Wie ... meinst du das ? Ich verstehe nicht ..." Seine Worte verklangen leise, doch er sah den Größeren noch immer an – auch wenn sein Wahrnehmungsvermögen durch die Schwäche und die Medikamente eingeschränkt war, so merkte er doch, daß Hale fröhlicher aussah und das brachte den Verletzten wieder dazu, zu lächeln.
"Ach je, ich mein das Wortspiel von ihm....weißt du, er ist eine männliche Domina und verarzten heißt bei ihm, daß er den Leuten die Prügel gibt, auf die sie so stehen." Hale wurde rot, mit Jedem im Haus konnte er so sprechen, ohne knallrot zu werden, aber Chino war ja ein Fremder und total unbeleckt, was solche Dinge anging.
Bei diesem Anblick löste sich ein leises, doch melodisches Lachen aus der Kehle des Italieners und er wurde merklich ruhiger ... langsam hob er die freie Hand und strich sacht mit den Fingerspitzen über die roten Wangen, ließ die Hand dann wieder sinken und sprach leise weiter. "Bitte verzeih ... ich hatte es nur nicht richtig verstanden, ich spreche nicht so gut Englisch. Aber wenn er eine ... Domina ?... ist, erklärt es, daß er sich so gut in medizinischen Dingen auskennt und mich versorgen konnte." Er hielt inne, da er Atem schöpfen mußte, es erschöpfte ihn noch immer, viel zu reden ... doch dann sah er wieder zu ihm auf und fragte ihn schließlich ohne Scheu und merklich nur aus sanfter Neugier, nicht als Vorwurf. "Arbeitest du auch hier ? Für ... Kunden ?"
Hale nickte, seine Röte wollte einfach nicht verschwinden, was war das nur ? "Ja, ich arbeite auch hier. Als Bodyguard für Shagen und ...nun eben auch als Hure." Letzteres wisperte er nur heraus und tunkte dann den Löffel in die Suppe. Chino musste was essen. "Aber jetzt iß erstmal etwas Suppe."
"Schhhh.... das ist nichts, wofür du dich schämen mußt. Ich kann sehen, daß du hier gerne bist, deine Worte und auch dein Lächeln sagen es mir." Bei den leisen, sanften Worten erneut über die noch heißer gewordenen Wangen streichend, schmunzelte der Italiener wieder – nickte dann einfach nur und nahm die Hand wieder weg, löste auch die, welche bisher noch die Hales umfaßt gehabt hatte und öffnete den Mund, denn auch er wußte, daß er essen mußte, um wieder zu Kräften zu kommen. Eigentlich war er bei solchen Dingen eher scheu ... doch er hatte Vertrauen in diesen sanften, großen Mann, dessen Ruhe auch ihn fühlbar beruhigte und dennoch das Bedürfnis weckte, ihn zu berühren, ihn anzusehen.
Hale sagte erst einmal nichts weiter, er beruhigte sich erst einmal und fütterte ihren Gast vorsichtig. Er wollte ihn ja auch nicht vollkleckern. "Musst dann sagen, wenn du nimmer kannst." So bekam er doch die Zähne auseinander und schenkte Chino wieder ein sanftes Lächeln. "Du kommst aus Florenz, ja ?... Bei uns lebt auch noch ein Römer. Vielleicht versteht ihr euch ja."
"Ja, Florenz ... ich habe eine Reise hierher zur Kirschblüte gewonnen, bei einem Wettbewerb. Meine Sachen ... sie ... im Rucksack ist mein Schlüssel, Hale, auch die Adresse des Hotels. Meine Sachen, sie sollen sie nicht wegwerfen, bitte ..." Er wies schwach auf den Rucksack und seufzte leise – nahm noch ein paar Schlucke der Suppe und nickte dann, daß er satt wäre und lächelte müde zu dem Größeren. "Es ist lange her, daß ich mit einem Römer sprach ... doch .. könntest vielleicht du hierbleiben ? Es beruhigt mich, wenn ich weiß, daß du hier bist ...."
"So, tut es das ?" Hale seufzte und schob den Tisch beiseite, so daß er Chino nicht störte. Er kam sich vor wie eine wandelnde Baldriantablette, aber das störte ihn nicht. "Ich bleib gern noch ein wenig, aber ich hab noch Pflichten zu erfüllen. Deine Sachen werden wir aus dem Hotel abholen, dann hast du alles wieder zusammen."
Ein leises "Bitte verzeih ..." wispernd, erwachte eine leichte Röte in seinen Wangen und Chino senkte kurz den Blick – es war ihm anzusehen, daß er sich selbst dafür rügte, daß er daran nicht gedacht hatte. "Ich möchte dich nicht abhalten, Hale ... ich ... habe geredet, ohne nachzudenken. Ich bin müde, deshalb rede ich so etwas. Natürlich kannst du deinen Pflichten nachgehen, ich werde einfach ein wenig ruhen. Und nochmals Danke, daß du dich darum kümmerst, ich hänge sehr an den Sachen .." Seine Stimme wurde leiser – man merkte, daß er langsam in einen Erschöpfungsschlaf glitt und auch die Maschine an der Seite zeigte an, daß der Herzschlag langsam abnahm und in eine Ruhephase überging, die einen tiefen Erholungsschlaf einleiten würde.
Hale blieb noch einen Moment, dann stand er auf und holte den Schlüssel und die Adresse des Hotels aus dem Rucksack. Leise verließ er das Zimmer, er ging aber nur eins weiter und trat in das von Francis. Es war erst wenige Tage her, seit er herkam, er hatte sich von dem Schlag und dem Tritt deutlich erholt. Sein Bein war noch bandagiert und ruhte. Geistig hatte er sich noch nicht erholt, auch wenn er scheu lächelte, als Hale in sein Zimmer kam. Die Augen sagten etwas anderes. "Möchtest du nicht ein wenig raus vielleicht ?" Francis schüttelte den Kopf auf die Frage. "Vielleicht Morgen, Hale...Ich mag jetzt noch ein wenig schlafen." Hale zu sagen, er sollte gehen, wollte der Blonde nicht, doch Hale verstand. "Ist Okay... Ich sehe dann später nochmal nach dir." Hale ging wieder und brachte die Sachen zu Shagen. Einer der Anderen würde die restlichen Sachen von Chino dann abholen.
Der Italiener hatte das allerdings schon nicht mehr mitbekommen ... er schlief satt und zufrieden ein, und noch immer lag ein sachtes Lächeln auf seinen Lippen, da das Letzte, das er gesehen hatte, das Gesicht Hales gewesen war.
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