”Der Blumengarten des Conte Verdun” 01
Der rauschende Maskenball hatte gerade erst angefangen, da verließ einer der Gäste das Anwesen. Maskenbälle waren Heutzutage reichlich und heute Abend waren es gleich zwei davon. Antonio hatte die Taschen voll Schmuck und verließ den Ersten, um noch zum Zweiten zu gelangen. In den letzten Tagen hatte er in dieser Stadt viele Damen und auch Herren etwas erleichtert. Einige sogar zweimal, es war herrlich. Maskenbälle boten sich da regelrecht an. Leider hörte er einen spitzen Aufschrei einer Dame, daß ihr Schmuck weg sei. Die mit Polizei verstärkten Wachen wurden gleich aufmerksam. ‚Verflucht, nu aber nichts wie weg, Tonio !" Der junge Mann im Piratenkostüm verschwand im Halbdunkel. Er würde gleich zum nächsten Ball flüchten, wo auch sonst konnte er besser untertauchen, als dort ? Ein Stück durch den Wald und er war da. Ein weites Stück, wie er feststellen musste. Seine Beute verstaute er unterwegs in einem ausgehöhlten Baum. Sicher war sicher, wenn er mit dem Schmuck geschnappt werden würde, dann würde er hundertprozentig eine harte Strafe bekommen. Aber einen Antonio Rossi fing man nicht so schnell. Nach einer halben Stunde erreichte er das andere Anwesen, kletterte über die hohe Mauer und erschrak oben fast zu Tode, als ihm eine grimmige Steinfigur direkt ins Gesicht knurrte. "Du lieber Himmel, hab ich mich erschrocken." Er fasste sich kurz ans Herz, um sich zu beruhigen und sprang dann die Mauer hinab, um zwischen duftenden Blumen zu landen, deren Blütenblätter aufflogen und sich über ihn verteilten. Leise lachend schüttelte sich Tonio die Blüten herab und ging weiter durch den Garten, um sich der feinen Gesellschaft anzuschließen. Die feinen Damen trugen ja so schwer, man musste ihnen doch etwas Erleichterung verschaffen.
Dessen ungeachtet seufzte der Herr dieses Schlosses und Gastgeber des Balles, der Conte Verdun, leise auf und richtete nach einem letzten Blick zu dem aufgehenden Mond dieser klaren Nacht das Oberteil seiner schneeweißen Uniform, hängte das bis zur Taille gehende, passende Cape über seine Schulter und nahm eine Rose aus der Vase neben seinem Spiegel, um sie zu betrachten und ihren herrlichen Duft einzuatmen. Erst nach einigen weiteren Herzschlägen schnitt er den Stiel der Rose kurz, um sie in das schwarze Satinband zu stecken, das seine taillenlangen Haare in Achselhöhe zusammenhielt, und stand langsam auf, um nach einem letzten Blick in den Spiegel zu gehen. Ein Blick in den Spiegel ... sein Spiegelbild, das ihn förmlich zu verhöhnen schien in seiner makellosen Schönheit. Apoll trug seinen Namen zu Recht - seine Gestalt war schlank, doch wohlgestalt, sein Gesicht besaß die Schönheit einer griechischen Statue und die Augen darin leuchteten wie lebende Amethyste. Sein langes, wallendes Haar besaß die weiche, dunkelrote Farbe einer Rose - und doch schimmerte es im Licht der Kerzen golden, als wäre es aus lebendem Gold gesponnen, das mit Blut benetzt worden war. Seine Haut besaß das makellose, feine Hellrosa einer Rose - sein ganzer Körper schien aus Rosen, Licht und Gold geformt und doch stimmte es ihn traurig, sich so zu sehen und zu wissen, daß dies nicht lange währte. Seine Schönheit war schon immer ein Fluch gewesen - auch wenn er es nicht wollte, die Frauen lagen ihm zu Füßen, selbst Männer verfielen ihm, doch Niemand war so eifrig und verhängnisvoll gewesen wie ein junger Kardinal, der als zweiter Prinz schon von Geburt an diesen Titel trug und nach dem jungen Conte verlangte. Dieser Kardinal wollte ihn besitzen und beherrschen - und als Apoll ihn abwies, verfluchte ihn dieser Mann mit übelster, schwarzer Magie und zwang ihn so zu einer Existenz, die nur noch Hohn und Spott für den jungen Conte war. Fast fünzig Jahre war dies nun her - fünfzig Jahre, in denen er nur des Nachts wieder diesen schönen, ewig jungen Körper sah. Doch im Licht des Tages oder wenn er wütend war, verwandelte er sich in ein Monster ... einzig die Haare blieben gleich, doch seine Haut färbte sich in das tiefste Schwarz der Nacht, seine Augen leuchteten ohne Pupille und Iris in einem kalten Amethyst und sein Körper wuchs, wurde um ein vieles stärker und zeigte durch den langen, an den Schwanz einer Echse erinnernden Schweif ebenso wie durch die kristallenen, amethystfarbenen Krallen und kinnlangen Fänge, daß er ein verfluchtes Geschöpf, ein Ungeheuer war. Schmerzvoll aufkeuchend, schloß Apoll seine Augen und atmete tief ein ... er mußte zu diesem Ball, den er in seinem Haus gab, mußte die Adeligen darin begrüßen und dafür sorgen, daß sie weiterhin seine Blumen kauften, für die er in ganz Italien und Frankreich berühmt war. Langsam öffnete der junge Conte die Augen und nickte zu sich selbst - öffnete die Türe seines Gemaches und löschte mit einem Wink seiner Hand die Kerzenflammen, die in dem großen Zimmer gebrannt hatten. Langsam ging er über die langen, gewundenen Treppen hinab und dem Gesang und Tanz entgegen ... der letzte Sproß einer langen, ruhmreichen Dynastie, die sich - aus Frankreich kommend - hier in Italien niedergelassen hatte und weite Ländereien besaß. Mit einem unechten Lächeln begrüßte Apoll die ersten Gäste, denen er begegnete - er wußte, daß er es nicht vermeiden konnte und auch wenn er einigen gutmütigen Spott erhielt, da er sich nicht verkleidet hatte, so ließ er es von sich abperlen und bemühte sich, weiterhin ruhig zu bleiben.
Tonio war in der Nähe des Hauses und blickte durch die großen gläsernen Türen, wie sich der Ballsaal füllte. Er wartete geduldig ab, bis einige Damen und Herren zusammengekommen waren. So konnte er sich gefahrlos unter die Leute mischen, denn in den Verkleidungen wurde man nicht so rasch erkannt. Sein Blick haftete aber an dem hübschen Hausherren. Schon viel hatte er von diesem Mann gehört und das, was man über seine Schönheit sagte, war eindeutig kein Gerücht. Trotz allem hatte er ein merkwürdiges Gefühl, sein Instinkt meldete sich. Antonio war ein Werwesen. Halb Panther und halb Katze, und auf seinen Instinkt konnte er sich verlassen. Doch diesmal musste er ihn trügen, was sollte faul sein an so einem hübschen Burschen.
Mehr, als der Dieb jemals ahnen könnte ... doch Apoll wußte nicht, daß in seinem Haus ein Werwesen war und unterhielt sich gezwungen freundlich mit einem Adeligen, ehe er sich verabschiedete und ein Glas Rotwein annahm, das ihn sein Diener brachte. Dieser Ball schien wie all die Anderen zu sein - öde, langweilig und nur eine Möglichkeit, die Zeit zu verprassen, anzugeben und Intrigen zu spinnen. Doch Apoll machte gute Miene zum bösen Spiel und unterhielt sich mit seinen Gästen, tanzte manchmal mit einer Dame und erneuerte die Geschäfte, die er mit manchen der Adeligen und Reichen geschlossen hatte. Nach einer Weile entschuldigte er sich und ging an die Seite, um wieder einen Schluck Wein zu trinken - ließ den Blick über seine wohlbekannten Gäste schweifen und auch über die neuen Gesichter, die dazugekommen waren, ehe er bei einem gänzlich unbekannten Gast stockte. Ein großer, sehr kräftiger Mann, der als Pirat verkleidet war, den er aber noch nie zuvor gesehen hatte. Doch dann wurde er wieder abgelenkt, als sein Diener zu ihm kam und mit leiser Stimme sagte, daß am Seitengang Stadtwachen warteten, um ihn zu sprechen. Mehr als nur verwundert, folgte ihm Apoll und senkte seine Brauen, als er die abgehetzten, wütenden Stadtwachen sah, die mehr als nur ungeduldig darauf warteten, endlich eingelassen zu werden. "Womit kann ich ihnen helfen, meine Herren ?"
Die Stadtwachen waren so ziemlich fertig, der Anführer trat vor und verneigte sich kurz. "Wir müssen euer Fest leider stören, Conte. Wir verfolgten einen Dieb bis zu eurem Schloss, dieser Mann räubert immer bei Festen und vor einer Weile hat er die Gäste ihres Nachbarn beraubt... Wir konnten seine Spur bis hierher verfolgen und er kann nur unter euren Gästen versteckt sein. Ein Pirat in schwarzer Kleidung."
Nun doch etwas hellhörig werdend, hob der Rothaarige eine Braue - dann seufzte er und lächelte ein wenig wehmütig, ehe er unmerklich nickte. "Ich erlaube ihnen, mein Schloß zu betreten - doch ich möchte sie um Diskretion bitten, ich habe sehr hochrangige Gäste hier. Wenn sie mir bitte folgen würden ? Ich führe sie zu einem der oberen Stockwerke, auf dem sie ungesehen den Saal überblicken können und sehen, ob der gesuchte Dieb sich unter den Gästen befindet." Ohne, daß es von den Wachen gesehen werden konnte, gab Apoll seinem Diener einen Wink mit der Linken - der alte Diener verstand sofort und entfernte sich unauffällig, lief durch die Dienstbotengänge in Windeseile zum Saal zurück und sah sich um, bis er den als Pirat Verkleideten entdeckte. Schnell kam er zu ihm - ungesehen von den anderen Gästen, die einen Diener niemals beachten würden - und räusperte sich kurz vor dem wirklich großen Mann. "Mein Herr - der Conte würde sie gerne persönlich begrüßen, würden sie mir bitte folgen ?"
Antonio kuckte etwas verblüfft, nickte dann aber und folgte dem Diener, weil sein Instinkt ihm sagte, daß es besser so war. Auch wenn er unsicher war, zur Not würde er sich verkrümeln. Er war gerade mit dem Diener aus dem Saal verschwunden, als Apoll mit der Stadtwache oben angekommen war. Alle Augen suchten den Raum ab, aber sie konnten nichts finden. "Nichts... Ich danke euch, Conte." bedankte sich der Anführer und neigte erneut seinen Blick. Tonio folgte derweil die Treppe hinauf und quer durch die Gänge. Dies war etwas, das ihn noch misstrauischer werden ließ, und er schnaufte innerlich erleichtert auf, als er sah daß keine Gitter an den Fenstern waren. Kaum, daß der Diener weg war, ging er auf das Fenster zu und sah hinaus. "Ein Katzensprung."
Und genau in diesem Moment verabschiedete der Conte die Stadtwachen und sah ihnen noch nach, wie sie aufsaßen und davonritten ... seufzte leise und schloß die Augen, ehe er den Blick zum Himmel hob und mit einem wehmütigen Lächeln den Mond betrachtete. Das Licht des vollen Mondes ließ seine Haut aufschimmern und fast so hell leuchten wie das Weiß seiner Uniform ... ein herrlicher Anblick, der nur durch die Traurigkeit seiner Augen gemildert wurde, ehe Apoll sich umdrehte und zurück zu den im Saal tanzenden Maskierten ging, um die verbleibenden Stunden den Gastgeber zu spielen.
Statt einfach abzuhauen, blieb Tonio noch in dem Zimmer. Er hatte durch das Fenster sehen können, wie die Stadtwache weggeritten war. Der Gastgeber würde hundertprozentig noch nicht kommen, sondern erst, wenn der Ball vorüber war. So stöberte er ein wenig herum, lauschte aber auch auf den Gang, sollte wer kommen, würde er den Fluchtweg aus dem Fenster nehmen, den kleinen Sprung schaffte er allemal. Bei einem der Bilder blieb sein Blick haften, es zeigte den Hausherren. Dort leuchteten seine Augen richtig, er war wunderschön. "Wie ne Blume." murmelnd, strich Tonio mit den Fingern über das zarte Gesicht und lachte dann über sich selber und schüttelte den Kopf. "Tonio, du solltest verduften, bevor du in die Klemme kommst." Er sprach leise zu sich, doch als er wieder hinaussah, knurrte er leise. Die Stadtwachen waren also doch noch da und wuselten heimlich um das Anwesen herum. "Na prima."
Das wußte der Schloßherr jedoch nicht ... er hoffte, daß dieser Dieb mittlerweile geflohen war und ihm auf diese Weise keine Schwierigkeiten bereiten würde. Die Stunden vergingen nur langsam und Apoll war froh, als die ersten Gäste ein wenig nach Mitternacht endlich müde wurden und den Heimweg antraten. Bald folgten auch die anderen Gäste und schließlich waren alle gegangen - leise seufzend, entließ der schlanke Conte seine Diener für die Nacht und lächelte, als sie froh darum in ihre Quartiere gingen, um sich dort auszuruhen. Ein Wink des Schloßbesitzers genügte, um die Kerzen zu löschen, die überall brannten - in den Jahrzehnten, die er versucht hatte, sich von dem Fluch zu befreien, hatte Apoll auch ein wenig weiße Magie gelernt, die ihm nun bei solchen Dingen half. Doch er hatte aufgegeben - Niemand hatte ihm helfen können und so war er dazu verdammt, für immer hier zu leben und ein Dasein als Verfluchter zu führen. Leise seufzend, verbannte er diese Gedanken und ging in den ruhigeren, privaten Wintergarten - er liebte seine Blumen, die duftenden Rosen, die dort wuchsen und lächelte zärtlich, als er mit den Fingerspitzen darüberstrich. Ohne noch darauf zu achten, ließ er sein Cape von der Schulter gleiten und öffnete die Weste der Uniform - ließ sie ebenso achtlos zu Boden gleiten und genoß die sachte Wärme des Wintergartens, ging zu einer Kommode am Rand und nahm daraus eine schlichte, schwarze Violine. Sie bedeutete ihm sehr viel, denn sie hatte seinem Vater gehört - mit einem wehmütigen Lächeln nahm er sie auf, koste sacht über das edle Firnis des Holzes und legte sie schließlich auf seine Schulter, um damit zu beginnen, zu spielen. Es war eine Melodie, die traurig und zugleich wunderschön durch das Schloß wehte und die Diener und Bediensteten aufseufzen ließ, da sie diese Stimmung ihres Herrn nur zu gut kannten. Anders als die eigentlichen Violinisten spielte Apoll keine der Kompositionen großer Meister ... er spielte das, was er fühlte, gab seinen Ängsten, Hoffnungen, Gedanken und auch seinem inneren Zwiespalt Klang, so daß die Melodie wie eine sanfte Klage direkt in das Herz eines Hörers ging und zum Zuhören lockte.
Und dieses Klagelied hörte Antonio. Er fragte sich, wer solch eine traurige Melodie spielte, und seine Neugierde trieb ihn dann doch aus dem Zimmer in den Garten. Die Stadtwachen waren noch immer in den Wäldern um das Schloss herum, dieses verfluchte Pack gab einfach nicht auf. Er würde hierbleiben, bis sie weg waren, und schlich nun zu dem Wintergarten. In den Schatten war er kaum zu sehen und trotz der Stiefel schlich er lautlos näher. Was er sah, verschlug ihm fast den Atem. Apoll spielte auf der Violine, sein Gesicht war voller Trauer und die Musik schien das auch wiederzugeben. Er sah zwar wunderschön aus, war aber nicht der Mann, den er auf dem Bild erblickt hatte.
Das Bild, das der junge Dieb gesehen hatte, war vor dem Fluch gemalt worden und zeigte den noch immer jung wirkenden Conte, als er noch unbeschwert und voller Pläne für seine Zukunft gewesen war. Diese existieren nun nicht mehr ... nur des Nachts konnte Apoll noch so sein, wie er zu dieser Zeit gewesen war - nur noch dann, wenn die Sonne nicht schien, fühlte er die simple Schlichtheit seines Körpers, hörte seine Stimme und war in der Lage, seine Gefühle durch die Violine auszudrücken. Er bemerkte den Beobachter nicht, da er viel zu versunken war ... erst nach einer geraumen Weile verstummte diese wunderschöne Melodie, als der Rothaarige den Bogen sinken ließ, die Violine auf die Kommode legte und seine Augen schloß. Das Mondlicht fing sich in seinen schönen Zügen und ließ sie wie feinste, weiße Rosenblüten aufschimmern - doch dann störte etwas dieses Bild, es waren unbemerkte Tränen, die langsam über seine geschlossenen, langen Wimpern perlten und die hellen Wangen herabrannen, während sich in ihnen das schimmernde, blauweiße Mondlicht fing.
Das war ein Anblick der gleichzeitig traurig stimmte und verzauberte. Tonio hatte das Bedürfnis, den jungen Mann zu trösten, er hielt sich aber zurück und schlich ein Stück weiter und dann in den Wintergarten. Der Drang zu trösten wurde stärker und so ließ er sich davon breitschlagen und trat lautlos hinter Apoll. Langsam legte er seine Arme um den schlanken Jüngling und wisperte ein "Das Traurige steht euch nicht, mein Herr." Allein der Duft des Mannes lenkte ihn jetzt von seinem Vorhaben zu trösten ab. Oder hatte der Duft ihn angelockt ? Egal, Apoll roch gut, fast schon zu gut für die empfindliche Nase des Werwesens.
Jener erschauerte tief bei dieser sanften Berührung und den weichen Worten ... noch immer gefangen in seinen Gedanken, dachte Apoll, daß dies ein Traum wäre, seine eigene Sehnsucht, die ihm etwas vorgaukelte. Es fühlte sich so gut an - die Wärme an seinem Rücken, die starken Arme, die ihn sicher hielten und diese leise, tiefe Stimme, die ihn sacht erschauern ließ. Wie oft hatte der Rothaarige sich gewünscht, so gehalten zu werden ... wie oft quälte ihn die Erkenntnis, daß dies niemals der Fall sein würde und so bebte er sacht, genoß diesen Augenblick des Träumens und ließ sich in diese Umarmung fallen, von der er glaubte, sie nur zu träumen.
Sacht schnupperte Tonio am Hals des Kleineren. Er erschauerte bei dessen Duft und schnurrte weich auf. Dieses sanfte Wesen hatte einen absolut himmlischen Duft und dieser Duft machte Antonio doch ziemlich an. "Ohne Tränen seit ihr viel hübscher." säuselte er sacht, seine Stimme war etwas rauer als eben und er sog den Duft erneut in seine Nase und streichelte mit der Hand sacht über den zerbrechlich wirkenden Hals des Apolls.
Diese Berührung ließ den Helleren tief erschauern ... dieser Traum war so viel mehr als das, was er bisher immer geträumt hatte. Die Berührung so sanft und wirklich - das Schnurren an seinem Ohr so zärtlich und angenehm, wie die weiche, dunkle Stimme, die ihm diese wunderbaren Worte zuwisperte. So wundervoll ... so herrlich und - plötzlich stockte Apoll und schlug die Augen auf, knurrte laut und wandelte sich im selben Moment, in dem sein Zorn durch die Adern flutete. Zuvor noch weiche, helle Haut wurde Schwarz wie die Nacht, die weiße Uniform riß laut ein, als sie durch den wachsenden Körper Apolls barst und große, kräftige Hände packten den Dieb, während der nun zum Monster Gewordene laut aufbrüllte und dabei die langen Fänge fletschte. In seiner Wut schleuderte er diesen Eindringling gegen die gemauerte Wand des Wintergartens - sprang sofort nach und schlug die langen Krallen in dessen Schulter, knurrte wütend und drückte ihn mit seinem größeren und stärkeren Körper an die kalten Mauersteine, ehe er leise und mit einem noch immer zu hörenden Knurren fragte. "Wer bist du ?!!! UND WAS HAST DU VERDAMMT NOCH MAL IN MEINEM WINTERGARTEN ZU SUCHEN ??!!!!" Das Letztere brüllte Apoll laut in seinem Zorn, denn hier erlaubte er nicht einmal die Diener, da dies sein eigener, einziger Zufluchtsort war.
Was zum Teufel war das ?! Tonio wusste gar nicht, was eben passiert war. Eben bezirzte er noch den jungen Hausherren und jetzt pinnte ihn dieses Monster an die Wand und brüllte ihm ins Gesicht. Er verarbeitete kurz alles, dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Es gab Gerüchte, daß ein Monster bei dem Schloß hauste und dieses Monster stand ihm gerade gegenüber. Der junge Mann war das Monster. "Ihr hab mich doch in das Zimmer bringen lassen, verdammt !!" knurrend, wandelte sich Tonio in seine Halbform. Er hatte keine Lust, sich hier fertigmachen zu lassen und schlug seine Krallen in den Arm, der ihn an der Schulter gepackt hielt und fauchte wütend auf.
Als der Mann in seinem Griff sich wandelte, wich Apoll ein wenig zurück - er hatte noch nie zuvor ein Werwesen gesehen und knurrte instinktiv auf, ehe er plötzlich zurücktrat und den Griff löste. "Du hast Recht - ich dachte, du läufst weg, da die Stadtwache dich suchte. Ich möchte keinen Skandal hier ... es ... es gibt schon genug Gerede." Noch während er sprach, war fühlbar, wie der Schwarzhäutige sich beruhigte - und im selben Moment wandelte er sich wieder zurück und seufzte leise, drehte sich um und sprach ebenso leise, während er wieder zu der Kommode mit der Violine ging. "Es ist egal. Geh, wenn du es möchtest - oder bleib, wenn es dir zu unsicher ist. Es macht keinen Unterschied, ob du hier bist, oder nicht, nur zeig dich Niemandem außer den Dienern hier."
Antonio blieb in der Werform, kam vorsichtig zu Apoll und schnupperte leicht. "Was bist du ?" fragte er leise und etwas misstrauisch. Zu nahe kam er nicht heran, es war ihm zu gefährlich. Der Mann war zwar wieder schlank und wunderschön, aber er war gefährlich.
"Ich bin verflucht ... ich war einmal ein Mensch, doch ich bin schon seit meiner Geburt verflucht. Glaubst du, ich wäre immer glücklich gewesen ? Schönheit ist ein Fluch - und für mich noch mehr als für jeden Anderen, seit ...." Apoll blickte wehmütig auf seine Violine, ehe er sie wieder auf das Samtkissen in der Kommode legte und erst jetzt drehte er sich langsam zu dem großen Werwesen um. "Aber du bist anders, du bist so von Geburt an. Was bist du ? Du bist nicht wie ich ... ich fühle keinerlei schwarze Magie in dir, du bist ... so ... anders." Einen Moment lang glomm Interesse in den lilanen Augen des Kleineren und ein Lächeln erwachte auf seinen Zügen - doch dann bemerkte er es und schloß die Augen, schüttelte nur den Kopf und wisperte ein leises "Verzeih.", ehe er sich wieder umdrehte und zu seinen Blumen ging. Es war mehr als nur deutlich, daß Apoll es nicht mehr gewohnt war, mit Jemandem zu reden - und daß er auch viel zu lange allein gewesen war, zu lange akzeptiert hatte, daß der Fluch ihn zu ewiger Einsamkeit verdammte.
"Ein Werwesen... halb Panther, halb Katze.... Ich hab nix mit schwarzer oder weißer Magie zu tun, ich bin ein Wesen dieser Welt." Er wandelte sich langsam wieder und traute sich näher. "Jetzt weiß ich, warum mein Instinkt sich bei dir meldete, ich spüre die schwarze Magie... Und du beherrscht etwas der Weißen ?" Zu nahe aber wieder nicht, er musterte den Verfluchten, der traurig in seiner zerfetzten Kleidung dastand... mehr nackt als angezogen. So nahm Tonio sein Cape und reichte es ihm vorsichtig.
Dies war etwas, das den Rothaarigen sichtlich überraschte. Noch immer ein wenig zögernd, nahm er das lange Cape und legte es sich um - wisperte ein leises "Ich danke dir ..." und seufzte, ehe er nickte und sanft über die Rosenblüten streichelte. "Du hast bestimmt schon von den Legenden gehört, daß seit einem halben Jahrhundert ein Ungeheuer hier sein Unwesen treiben soll ... es stimmt, doch es ist mehr daran, als die Leute ahnen. Nur die Diener wissen, daß ich dieses Ungeheuer bin - und sie sind zum Schweigen verdammt, denn ich habe sie dazu verpflichtet." Leise seufzend, hielt Apoll einen Moment lang inne und schloß die Augen, als er sein Gesicht wieder dem Mondlicht zuwandte und das weiche, blauweiße Licht auf seiner Haut genoß. "Nur jetzt, in der Nacht, kann ich ein Mensch sein - das Tageslicht oder auch meine Wut verdammen mich dazu, so zu werden, wie du mich gesehen hast. Ein Spiegel meiner Selbst, der mein Gegenteil zeigt. Wut, Zorn, Angst ... sie sorgen dafür, daß ich mich wandle, ebenso wie das Sonnenlicht. Ruhe, Leid, Freude und Sanftheit lassen mich des Nachts wieder zu dem werden, das ich eigentlich war. Es war schwarze Magie, die mich verfluchte ... ich habe versucht, den Fluch mit weißer Magie zu brechen, über zwanzig Jahre suchte ich nach einem Ausweg. Doch als ich merkte, daß es nichts gab, hörte ich auf und ergab mich meinem Schicksal. Es hatte zumindest ein Gutes - ich kann durch das, was ich lernte, viel besser für meine Blumen sorgen und dadurch auch für die Menschen in meiner Obhut. Sie wissen, daß Niemand ihnen etwas tut, denn die Angst vor dem Ungeheuer, das schon mehrere Räuberbanden zerrissen hat, hält alle Verbrecher von ihnen ab. Niemand außer den Dienern und jetzt dir weiß, daß der Conte auch eine andere Seite hat - deshalb empfange ich andere Leute auch nur des Nachts und sie alle glauben, daß ich der Sohn meines früheren Selbst bin, als ich noch nicht verflucht war und noch unter ihnen sein konnte. Und die, welche noch meine Eltern kannten, leben mittlerweile nicht mehr - fünfzig Jahre sind eine lange Zeit, nicht wahr ? Mehr als nur lang ....." Erneut verstummte Apoll und lächelte wehmütig - es verwunderte ihn selbst, daß er diesem Fremden alles erzählt hatte, doch es tat gut, endlich einmal das, was er seit fünf Jahrzehnten in sich begrub, auszusprechen, denn er wußte auch, daß der Dieb nichts verraten konnte, da er selbst gesucht wurde.
"Ich bin auch um die Fünfzig und noch ein Jungspund." murmelte Tonio und setzte sich auf eine der steinernen Bänke. "Weiße Magie... schwarze Magie... alles unnütz und bringt nur Ärger." Er knurrte leise und seine Krallen kratzten leicht über den Marmor. "Nun, wenigstens hast mich nicht zerrissen... bin ja auch ein Räuber... Aber ich morde nicht, das ist nicht mein Stil."
Erst jetzt sah Apoll wieder zu ihm und erneut erwachte ein leichtes, noch ungewohntes Lächeln auf seinen Zügen, als er ihm leise antwortete. "Das habe ich auch nicht erwartet. Du bist ein Dieb, ja - und wenn ich nach dem gehe, das die Stadtwachen so erzählten, bist du sogar recht erfolgreich darin. Hättest du mich angegriffen, dann hätte ich dich zerfleischt - wenn meine Wut mich beherrscht, habe ich keine Kontrolle über diesen ... diesen Körper." Einen kurzen Moment lang sah man die Abscheu, die der Rothaarige für sich selbst empfand - dann seufzte er leise und drehte sich wieder um, um die Wärmezauber des Wintergartens zu erneuern. "Du solltest dich ausruhen ... ich habe hier genügend leere Gästezimmer, schließlich bin ich allein in diesem Schloß. Such dir aus, was du möchtest - die Stadtwachen werden noch eine Weile in den Wäldern meines Grundes lauern, die Statuen, die ich dort als Wache habe, verfolgen jeden ihrer Schritte."
"So, so..." murmelte das Werwesen und streckte sich leicht, bevor er wieder aufstand und hinter Apoll trat. "Ich stehe in euer Schuld mein Herr. Ich bleibe, bis ich sie abgetragen habe." Er war ein Dieb, sein Vater war ein Pirat, aber er hatte Ehre im Leib.
Erneut unsicher werdend, schloß Apoll die Augen ... dann nickte er kurz und antwortete ihm leise. "Du schuldest mir nichts. Aber wenn du bleiben möchtest, dann kannst du es, ich habe es dir ja gesagt. Wie heißt du eigentlich ? Meinen Namen kennst du ja schon ...."
"Antonio." antwortete Tonio knapp und kam noch etwas dichter. "Ihr seit merkwürdig, euch scheint wirklich alles egal zu sein." Er hatte unfehlbar eine große Klappe und die hielt er ungern. "Aber wenn man euch zu nahe tritt, rastet ihr aus, oder ?"
Bei den leisen Worten schauderte der schlanke Conte, doch er fing sich rasch wieder, und ein Schmunzeln löste sich von seinen Lippen. "Nein, Antonio ... ich fürchte mich davor, berührt zu werden. Der Mann, der mich verfluchte, tat dies, weil ich ihn abwies - er wollte mich als seinen Buhlen, als sein Spielzeug, etwas, das ich nicht konnte. Ich sagte ihm, daß er mich nie wieder berühren sollte und er ging - doch er widmete sich der schwarzen Magie und verfluchte mich, gab mir diese Existenz und sorgte so dafür, daß mich Niemand mehr berühren wird. Denn ein Jeder, der dies tut, läuft Gefahr, von mir zerrissen zu werden, doch es ist so oder so nicht wichtig, da ich ... abstoßend bin. Deshalb ist es mir auch egal geworden - ich bin dazu verdammt, so jung zu bleiben, zwei Körper zu haben, wie sie verschiedener nicht sein könnten, dazu verdammt, nicht sterben zu können. Und weiß Gott, ich habe es schon oft genug versucht. Ich lebe nur noch für die Menschen, die auf meinen Ländereien leben und die meinen Schutz brauchen - ich habe kein Leben mehr. Also wieso sollte es mir nicht egal sein ?" Noch während er sprach, löste sich Apoll und lächelte zu dem nun größeren Mann - nahm dessen Cape ab und legte es auf eine der Bänke, drehte sich wieder um und ging aus dem Wintergarten, um ein wenig Ruhe in seinen Gemächern zu finden.
Zurück blieb Tonio, der nur schweigend den Kopf schüttelte. Er war doch auch so ein Wesen, aber er war es von Geburt an und kannte kein anderes Leben. Apoll tat ihm irgendwie schon leid und doch wieder nicht. Nebenher hatte er bemerkt, daß die Wunde am Arm des Rothaarigen verheilt war. Seine Selbstheilung war jedenfalls hervorragend. "Mal sehen, wie lang ich bleibe..." Er sah in Apoll eine Herausforderung, er war wunderschön und irgendwie eine Art Juwel, das er haben wollte. Von einem leisen, etwas rebellischen Knurren wurde Tonio aus den Gedanken gerissen. Sein Magen meldete sich und er war sicher, daß man in der Küche noch Reste vom Fest finden würde.
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