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”Eine Mondnacht in Venedig” 02
 

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~~~***~~~ Zurück im Jahre 1854 ... ~~~***~~~

"Sie war die Frau, die mein Herz für sich gewann. Die einzige Frau, mit der ich je das Bett teilte." Daß er wirklich ein Kind gezeugt hatte, erzählte er nicht, das war doch zu persönlich, denn unter den Männern war nur einer, mit dem ihm eine wirklich tiefe Freundschaft verband. "Und daher fing ich an, mich mit Männern zu treffen und verweigere noch immer eine Ehe."

Das brachte die anderen Männer dazu, leise zu lachen und sie prosteten sich mit ihrem Wein zu, als sie auf diese Worte tranken. Dann sprach einer von ihnen und neigte sich neugierig etwas vor. "Das ist also der wahre Grund, weshalb du in die Stadt gezogen bist und diese herrlichen Abende gründetest – und wie wir alle ja nur zu gut wissen, hast du dich seither sehr an männliche Gesellschaft gewöhnt. Es ist durchaus interessant, einmal die Anfänge zu erfahren ... und keine Sorge, ich werde nicht weiter nachfragen, schließlich sind wir ja alle Ehrenmänner, die Geheimnisse respektieren können. Nur eine Frage hätte ich, Raffaele: Mit wem wirst du heute Nacht das Bett teilen? Schließlich müssen wir uns ja auch noch nach einer angenehmen Gesellschaft für die Nacht umsehen."

Das brachte Raffaele dazu, leise zu lachen, und auch er neigte sich vor. "Genau das ist der Grund ... und ich wähle Antonio, ich muss wieder gut machen, daß ich ihm dieses Geheimnis so lange vorenthalten habe." Er lehnte sich wieder an und blickte zu seinem Freund. Fabrizio seufzte nur leise und trank seinen Wein aus. "Dann werden wir euch nicht länger stören und gehen, damit wir auch noch etwas abbekommen." Wahrscheinlich würden sie eh alle paarweise heimgehen, die besten Partien an Männer, die Männer bevorzugten, saßen hier zusammen.

"Tut nicht so, als ob ihr verhungern müßtet ... wir sind eine gerade Zahl, so daß Jeder einen Mann für die Nacht bekommt, so halten wir es doch schon seit Jahren." Giaccomo schmunzelte nur auf Antonios Worte und nickte dazu, trank noch seinen Wein aus und stand dann auf, um zu Fabrizio zu gehen, sich vor ihm zu verneigen und mit einem schelmischen Grinsen zu fragen. "Hättest du vielleicht Lust, mich heute Abend nach Hause zu geleiten? Es wäre mir eine Ehre."

"Sehr gern, der Herr." erwiderte Fabrizio und verneigte sich ebenso, bevor er sich einhakte und zur Tür schlenderte. "Wir sehen uns bald bei mir, meine Herren, und dann darf ich wählen." Er lachte leise und so verließen sie den Raum, auch die Anderen taten sich paarweise zusammen und verabschiedeten sich, und so blieben nur Raffaele und Antonio zurück. "Hab ich dich überrascht, mein Freund?"

Leise seufzend, blickte dieser noch den Anderen nach, ehe er sich ein neues Glas Wein einschenkte und zu seinem langjährigen Freund blickte. "Ein wenig, ja ... wir kennen uns schon seit der Kindheit, lernten unter den gleichen Lehrern und unsere Familien haben niemals Verdacht geschöpft, daß wir unsere Freundschaft noch immer so innig pflegen. Aber ich hätte nie gedacht, daß du einmal eine Affäre mit einer Frau hattest ... die scheinbar sogar tiefer ging. Bitte erzähle mir doch noch ein wenig. Ich verstehe, daß du vor den Anderen nicht reden wolltest, aber mir kannst dus doch erzählen?" Mit einem verschmitzten Augenzwinkern versuchte der Braunhaarige, Raffaele zu ködern und wußte nur zu gut, daß dieser nicht widerstehen konnte.

Das konnte er auch nicht und so grinste Raffaele sacht. "Dann überrasche ich dich noch mehr, wenn ich dir erzähle, daß ich einen Sohn habe." Er hoffte, daß sein Freund sich nicht am Wein verschluckte, den er gerade trank.

Aber gerade das passierte und Antonio hustete gequält, als er das Glas zur Seite stellte und sich leicht gegen das Brustbein schlug. Es passierte ihm selten, daß er sich so verschluckte – doch die Neuigkeit seines Freundes war Grund genug, daß es geschah. "Du ..." Antonio mußte noch einmal husten, ehe er einigermaßen verständlich weitersprechen konnte. "Du hast einen Sohn? Mit der Magd? Erzähle!" Nun wollte er alles wissen und stand auf, zog Raffaele mit zu der großen Couch und setzte sich, lehnte sich an und zog den Anderen in seine Arme, so daß sie ein wenig zärtlicher werden konnten, während sie redeten.

Etwas, das Raffaele immer sehr genoss und er öffnete auch gleich das Hemd seines Freundes, um dessen Haut berühren zu können. "Wir trafen uns so oft es ging, und sie wurde sofort schwanger. Ich glaube, schon beim ersten Mal hat sie empfangen, aber sicher bin ich nicht." Er hauchte einen Kuss auf Antonios Brust und lächelte. "Ich war bei der Geburt dabei, es war ein wirkliches Erlebnis und einer der schönsten Momente in meinem Leben. Obwohl sie sich sehr quälte ... Elena war sehr zart, sie war für mich das bezaubernste Wesen, das es gab."

"Erzähle mir doch davon, Raffaele ... deine Augen strahlen, wenn du von ihr erzählst. Bitte ... auch wenn es scheinbar traurig wird, du sprichst von ihr in der Vergangenheit." Das war etwas, das Antonio auffiel und er nahm das Band aus den Haaren seines Freundes, streichelte sanft über dessen Wange und seufzte wohlig, als er die andere Hand unter dessen Hemd schlüpfen ließ. Auch wenn sie kein festes Paar waren, so kannten sie sich doch gut – schließlich teilten sie schon seit Jahren die Freuden der körperlichen Liebe und sie liebten sich auch, jedoch nur als engste Freunde und nicht als Gefährten.

"Ja, das wird es. Aber erst zu dem schönen Seiten: Sie schenkte mir einen Sohn. Er weiß nichts von mir, aber ich zahlte wie versprochen einen Unterhalt." Raffaele pausierte einen Moment und ruckelte sich noch ein wenig gemütlicher hin. "Die Geburt war sehr anstrengend für sie, ich kam sofort, als mir der Schneider Jemanden schickte. Als ich da war, hielt ich ihre Hand und sah, wie er auf die Welt kam. Ich weiß, das ist nicht üblich, aber ich wollte Elena nicht alleine lassen. Er hatte gleich schwarzes und volles Haar und ihre veilchenblauen Augen. Danach sahen wir uns nicht mehr so oft, es war nicht möglich, weil mein Sohn nicht wissen sollte, wer sein Vater ist. Obwohl ich ihn immer wieder beobachtete." Allein die Gedanken an den kleinen Jungen ließen ihn lächeln.

Dieses Lächeln ließ auch Antonio lächeln, denn er sah, wie glücklich die Erinnerungen seinen Freund machten. Er war auch nicht eifersüchtig darauf ... denn sie wußten Beide, daß sie ein anderes Band einte, ein Band, das es zuließ, daß sie sich jemand Anderes als Gefährten suchen konnten. "Deine Augen leuchten, wenn du davon sprichst - es ist wirklich unüblich, bei der Geburt dabeizusein, aber ich kann mir vorstellen, daß es ein schönes Erlebnis sein mußte, deinen Sohn zu sehen. Ihr habt euch dann oft geschrieben, nicht wahr? Ich kann mich an eine Zeit erinnern, in der du sehr oft Briefe geschrieben hast und auch viele bekamst."

Das Lächeln wurde kurz noch wärmer und Raffaele nickte sacht. "Ja, sehr viel, so wurde Keiner auf unsere Liebe aufmerksam. Nur der Schneider wusste Bescheid. Elena wurde nach ein paar Jahren erneut schwanger. Mein Sohn war Dreizehn, aber dann geschah es ... das Kind starb in ihr und sie bekam hohes Fieber und folgte dem Ungeborenen. Ich kam damals zu spät, sie war gegangen, als ich kam." Beim Sprechen brachen die Augen des Schwarzhaarigen, es schmerzte noch immer, wenn er daran dachte und er konnte im Moment nicht weitersprechen.

Antonio seufzte leise, denn er konnte sich noch gut an diese Zeit erinnern – damals wußte er nicht, weshalb, doch sein Freund war so in seiner tiefer Trauer versunken gewesen, daß er fast nicht daraus hervorzubringen war. Damals konnte er Raffaele nur seine wortlose Nähe anbieten, eine Schulter, an die sich der Trauernde lehnen konnte, ohne daß Fragen gestellt wurden ... Antonio vertraute damals wie Heute, daß sein Freund es ihm sagte, wenn er soweit war, und erneut wurde sein Vertrauen belohnt. Auch jetzt zog er ihn einfach an sich und hielt ihn – und wie erwartet, fühlte er nach einigen Minuten heiße Tränen, die sein Hemd netzten, doch er sagte nichts und hielt ihn nur, da er wußte, daß Raffaele nicht mehr als das wollte.

Es dauerte auch einige Minuten, bis Raffaele sich wieder beruhigte. "Ich hab zwei Wochen gebraucht, um ihr Gab aufzusuchen. Ich habe natürlich die Beerdigung bezahlt ... ich hatte meinen Sohn in meiner Trauer ganz vergessen, ich hatte ihn zwei Wochen allein gelassen."

~~~***~~~ Im Jahre 1849 ... ~~~***~~~

Wie erstarrt stand Raffaele auf dem Friedhof, er hatte ein paar Veilchen in der Hand und starrte auf den Jungen, der am Grab seiner Mutter stand und leise für sie sang. In dem Edelmann machte sich ein Schuldgefühl breit, das ihm fast sein Innerstes zerriss, er hatte in seiner Trauer seinen Sohn vergessen. Er vergaß, daß er nicht der Einzige war, der um Elena trauerte. Das sah er erst jetzt, nach zwei Wochen hatte Raffaele sich endlich überwunden, das Grab zu besuchen und nun stand da sein dreizehnjähriger Sohn und sang voller Trauer für seine Mutter, ganz allein. Es bildete sich ein fester Kloß im Halse des Adligen und er schluckte, um die Fassung zu bewahren, als er auf den Jungen zuging, der noch immer mit dieser klaren und wundervollen Stimme sang.

Giancarlo bemerkte nichts um sich herum, als er für seine Mutter das Lied sang, das sie so sehr geliebt hatte. Wie oft hatte er sie es singen hören, um ihn in den Schlaf zu wiegen oder wenn er sich wehgetan hatte ... und wie oft hatten sie es gemeinsam gesungen, bis der Junge es schaffte, es alleine zu singen und seiner Mutter so eine Freude zu bereiten. Sie wünschte es sich oft, wenn sie einen Brief an seinen Vater schrieb oder einen von ihm erhielt - diesem namenlosen Mann, der ihnen ein Auskommen sicherte und seine Mutter glücklich machte. Giancarlo wußte nicht, wie er hieß oder wo er war ... sicherlich hatte er Elena nach ihm gefragt, aber sie erzählte ihm nur, daß sie sich liebten und es nicht möglich war, daß sie heirateten. Doch sie schien glücklich und das war alles, das jemals für den Jungen zählte. Innerlich leise seufzend, beendete er das einsame, leicht wehmütige Lied und verstummte ... seine Finger strichen sanft über den gemeißelten Namen seiner Mutter und er senkte den Blick, ehe er aufstand, um zu gehen. Giancarlo schreckte jedoch auf, als er den großen Mann bemerkte, der langsam auf ihn zukam – es war ein Adeliger, das konnte der Junge an der wertvollen Kleidung sehen, und schließlich erkannte er ihn auch, denn der Mann war ein Stammkunde des Schneiders. Mit einem respektvollen "Herr." trat Giancarlo zur Seite und senkte brav den Kopf, denn Höflichkeit war eines der Dinge, die er von seiner Mutter gelernt hatte.

Raffaele hatte seinen Sohn schon oft gesehen, auch beim Schneider, aber sie waren nie so allein zusammen gewesen, wie sie es jetzt waren. "Du bist Giancarlo, nicht wahr?" fragte er leise und hockte sich vor den Jungen. "Es tut mir sehr leid um deine Mutter, ich habe sie oft gesehen und war sehr angetan von ihr. Darf ich deiner Mutter ein paar Blumen aufs Grab legen?" Er fragte leise, denn er würde die Wünsche seines Sohnes respektieren, genauso wie er Elenas Wünsche immer respektiert hatte.

Der Junge erschrak leicht, als sich der Adelige vor ihn kniete und ihn ansprach ... doch er nickte und wisperte ein leises "Ja, so heiße ich.", ehe er wieder verstummte. Die Worte des Mannes sorgten dafür, daß sich in Giancarlo etwas zusammenkrampfte und er brauchte einen Moment, ehe er noch ein ebenso leises "Gerne, wenn ihr wünscht, Herr?" nachwisperte. Er selber hatte kein Geld für Blumen – und er wußte, daß seine Mutter Veilchen gern gemocht hatte, und wenn der Mann das für sie tun wollte, wäre es schön.

In ihnen Beiden sah es wohl ähnlich aus, aber Raffaele musste sich zusammenreißen. Wie gern würde er seinen Sohn einfach in den Arm nehmen und ihm alles sagen, aber es ging einfach nicht und es war auch besser, wenn Giancarlo es nicht wusste. "Ich danke dir, Giancarlo." Fast wäre seine Stimme gebrochen, doch es gelang ihm, daß es nicht passierte. So stand er auf und legte vorsichtig die Veilchen auf das Grab seiner Liebsten. Er sprach ein lautloses Gebet, in dem er ihr versprach, sich um seinen Sohn zu kümmern und drehte sich dann langsam zu ihm um. "Hast du Jemanden, der sich um dich kümmert?"

Die sichtbare Anteilnahme im Gesicht des Mannes wunderte Giancarlo ... doch er fühlte, daß dieser Mann nicht so wie die anderen Adeligen war, die sich nicht um Diener oder Gossenkinder scherten. Die Frage dieses Mannes wunderte ihn aber noch mehr – denn das hatte ihn bisher eigentlich noch Niemand gefragt. "Nein, Herr ... ich darf zwar noch bei dem Schneider wohnen bleiben, doch sobald er eine neue Magd hat, weiß er nicht, was er noch mit mir anfangen soll, ich bin noch nicht stark genug, um im Lager arbeiten zu können. Aber Herr - braucht ihr denn nicht eher Jemanden? Ihr seht nicht gut aus, Herr ... seit ihr krank?" Der Adelige sah so schlimm aus, wie Giancarlo sich fühlte, und noch schlimmer – er schien seit Tagen nichts gegessen zu haben, die Haut war blass und die Augen ein wenig Rot, als ob er keinen Schlaf bekommen hätte.

Daß Carlo sich erst um ihn sorgte, war hingegen für Raffaele sehr überraschend und er konnte nun nicht mehr an sich halten und nahm seinen Sohn in den Arm. "Nein, ich habe Jemanden, ich war nur eine Zeit krank ... ich möchte mich gern um dich kümmern, wenn ich darf." Wieder fragte er seinen Sohn.

Es war neu für den Jüngeren, von einem Anderen als seiner Mutter umarmt zu werden ... doch es fühlte sich gut an und der Mann schien es zu wollen, so daß sich Carlo entspannte und zögerlich seine Arme um dessen Mitte legte. Es fühlte sich so gut an ... die Wärme dieses Mannes und auch dessen Geruch, so daß Carlo leise seufzte und einen Moment das Gesicht in dessen Hemd vergrub. Doch die Frage brachte ihn dazu, wieder aufzusehen und in seinen Augen lag nur sachte Verwunderung. "Wollt ihr das wirklich, Herr? Ich bin doch nur der uneheliche Sohn einer Magd ... eine Waise. Aber ich würde mich freuen, wenn ihr Arbeit für mich habt, Herr, ich bin ein guter und folgsamer Diener und tue alles, was ihr von mir wollt."

"Ich möchte dich nicht als Diener haben, ich werde dich auf die Gesangsschule der Oper schicken. Du hast ein so großes Talent, daß es Jeder hören müsste, der nur ein wenig Ahnung von Gesang hat." Die Idee war ihm spontan eingefallen, aber es war eine ausgezeichnete Idee, denn dort konnte der Junge ein ganz Großer werden. "Ich werde dein Mäzen."

Giancarlo hatte mit viel gerechnet – doch niemals mit einem solch großzügigen Angebot. Es bedeutete eine Ausbildung und eine Zukunft ... und das für einen armen Waisenjungen, der eigentlich damit gerechnet hatte, nur eine Möglichkeit als Gehilfe und wenn er größer war, als Lagerarbeiter zu haben. Ohne, daß er es eigentlich wollte, füllten sich seine Augen mit Tränen und er wisperte ein leises "Das wollt ihr wirklich tun, Herr?", dem nur zu gut anzuhören war, daß er es fast nicht glauben konnte.

"Ja, das will ich tun." wisperte Raffaele und lächelte, weil Giancarlos plötzlich klammerte und anfing, richtig zu weinen. Er zog seinen Sohn noch enger an sich und hielt ihn fest, es tat ihnen Beiden gut und Raffaele streichelte sanft durch das dichte, schwarze Haar. Erst nach einer Weile wisperte der Ältere ein sanftes "Komm, wir holen deine Sachen und dann kaufe ich dir beim Meister gleich neue Kleidung, damit du beim Vorsingen in der Schule gut aussiehst."

All das war so viel – Giancarlo wußte noch immer nicht, wie er das alles verarbeiten sollte und nickte nur in das Hemd des Mannes, während er versuchte, den Weinkrampf wieder unter Kontrolle zu bekommen. In ihm war soviel aufgestaut gewesen, daß es einfach ausgebrochen war – und trotzdem kam sich der Junge geborgen vor, dieser Mann hatte ihn gehalten und ihn gestreichelt, ohne dabei unsittlich zu werden. Giancarlo war nicht dumm – er wußte, daß es Männer gab, die auf andere Männer standen ... und langsam keimte in ihm das Verständnis dafür, denn er fühlte sich gerade eben mehr als nur geborgen und wohl. In diesem Adeligen vereinten sich für ihn nun Hoffnung und Geborgenheit ... und schließlich blickte der Jüngere auf und lächelte sacht, nickte erneut und wisperte leise, während er seine Hände wieder löste. "Ich danke euch, Herr. Ich weiß nicht, wie ich euch das zurückgeben soll ... ich kann es noch gar nicht fassen, daß ihr das für mich tun wollt, wo ich doch nicht einmal euren Namen kenne."

Raffaele lächelte sacht und streichelte Carlo noch einmal durch das Haar. "Ich heiße Raffaele Marzano und mir reicht, daß du viel lernst, damit du ein guter Sänger wirst. Ich liebe die Kunst des Gesanges." Erst jetzt lächelte auch er und legte den Arm um die Schulter seines Sohnes, als sie sich auf den Weg zum Friedhofstor machten.

~~~***~~~

All das war noch immer wie ein Traum, aus dem Giancarlo nicht aufzuwachen schien, auch wenn er sich schon zweimal in den Arm gezwickt hatte, seit sie den Friedhof verließen. Der Arm, der noch immer um seine Schulter lag und so auch den warmen Mantel Raffaeles um ihn brachte, fühlte sich einfach nur gut an – und der Junge mußte sich mehr als nur einmal dabei zurückhalten, sich wieder an den so beruhigend stärkeren Körper des Adeligen zu kuscheln. Erst, als sie an der Schneiderei ankamen, löste sich Giancarlo und lief sofort in die Küche, um ein Tablett mit Tee zu holen und es Raffaele zu bringen, ehe er mit einem leisen "Ich beeile mich, Herr!" wieder verschwand, um seine wenigen Habseligkeiten einzupacken.

Daß er seinem Sohn jetzt so nahe gewesen war, hatte eine beruhigende Wirkung auf Raffaele, er trauerte noch immer, aber ihm war jetzt ein Teil seiner Trauer genommen und durch etwas anderes ersetzt worden. Während Carlo seine Sachen zusammensammelte, sprach der Schwarzhaarige mit dem Schneider und er erhielt von ihm auch gleich zwei Garnituren an Kleidung, die dem Jungen passen müssten. Zusätzlich Schuhe, die der Schneider ebenso im Laden hatte. Somit war alles abgewickelt, als Carlo die Treppe herunterpolterte. "Langsam, Carlo, der Herr wird schon nicht ohne dich gehen ... hier, zieh das an, mein Junge." Der Schneider drückte dem Jungen die gute Kleidung und Schuhe in die Hände und nickte zu dem Vorhang.

Völlig verdattert, blickte Carlo auf die Sachen in seinen Armen – doch dann erhellte sich sein Gesicht und er nickte, ehe er mit einem "Ich danke euch, Herr." zu Raffaele hinter den Vorhang trat, um sich in Windeseile umzuziehen. Die übrige Garnitur und auch seine alte Kleidung legte der Junge sauber zusammen und in seinen Beutel, ehe er wieder rauskam und sichtlich verlegen zu dem Adeligen blickte, der ihn nun unter seine Fittiche nehmen wollte. "Geht das, Herr?"

Bei der Frage wandte Raffaele den Blick zu seinem Sohn und schwieg erst einmal. Der Anblick war einfach wundervoll, die Kleidung stand ihm ausgezeichnet und Carlo wirkte sofort ganz anders, er war für diese Kleidung geboren und könnte wirklich als Aristokrat durchgehen. "Wundervoll." Mehr sagte Raffaele nicht, stand auf und nickte mehr als zufrieden. "Wirklich wundervoll." Der Schneider schmunzelte, weil er den Schöngeist des Schwarzhaarigen sehr gut kannte und sein Junge war wirklich eine kleine Schönheit. "Kleider machen Leute." stellte er fest.

Das brachte den Jüngeren dazu, leicht Rot zu werden und er senkte den Blick, denn so ganz wohl fühlte er sich noch nicht in dieser Kleidung. Sicherlich war es ein herrliches Gefühl, daß nichts kratzte und es auch besser wärmte – doch er war es nicht gewohnt, da er als einfaches Kind einer Magd aufgewachsen war. Carlo wußte aber auch, daß er sich daran gewöhnen mußte, denn als Gesangsschüler war es normal, solch schöne Kleidung zu tragen und er wollte seinem Mäzen gefallen. Also hob er nach einem Moment des Zögerns den Blick und lächelte scheu zu dem jungen Adeligen vor ihm. "Ich bin froh, daß es euch gefällt, Herr ... auch wenn ich noch nicht so recht weiß, wie alles geht und wie ich mich in der Gesangsschule benehmen soll."

"Das wirst du dort lernen. Es gibt einige große Sänger, die wie du sind - ich bin sicher, es wird dir gefallen, du wirst dort ein gutes Benehmen, Lesen, Schreiben und Rechnen lernen ... und natürlich Gesang." Dort würde Carlo eine sehr gute Ausbildung erhalten und Raffaele war ganz sicher, daß sein Junge sich dort durchsetzen würde. Von der Seite nahm er nun noch einen Mantel und den hängte er Giancarlo über die Schultern. "Wir gehen dann. Ich möchte dich gleich Heute noch an der Schule vorstellen."

Noch ein leises "Gerne, Herr." wispernd, senkte Carlo den Kopf und ließ ihn machen – erst dann verabschiedete er sich von dem Schneider und folgte Raffaele, hielt seinen Beutel bei sich und blickte hin und wieder zu dem Adeligen auf, während sie die Straßen entlanggingen. Eigentlich hätte Carlo gedacht, daß sie eine Kutsche nehmen würden – er wußte, daß die Adeligen es verabscheuten, auch nur einen überflüssigen Schritt zu Fuß zu gehen. Doch dieser schien anders zu sein ... und das gefiel dem Jungen, auch wenn er wußte, daß sein stilles Schwärmen eigentlich verboten war.

Woher sollte er es auch wissen. Elena und Raffaele hatten es gut verheimlicht und so sollte es auch weiterhin bleiben. "Du wunderst dich sicher, warum wir laufen? Die Opernschule und Oper sind nicht so weit und ich bewege lieber hin und wieder meine Beine, um von einem Ort zum anderen zu gelangen." Seine Stadtwohnung war auch nicht zu weit weg.

"Das ist ungewöhnlich, Herr ... aber ich finde es schön, ich mag es auch lieber, zu laufen. Einmal mußte ich in so einer Kutsche sitzen, das war komisch – dauernd ruckelte und wackelte es, mir wurde ganz schlecht." Allein schon der Gedanke ließ Carlo erschauern und er kam ohne es zu merken, wieder näher zu Raffaele, damit sie nicht in die ihnen entgegenkommenden Leute stießen.

Da es recht voll war, legte Raffaele wieder seinen Arm um den Jungen und zog ihn etwas dichter zu sich, er legte seine ungeliebte, etwas kühlere Fassade auf und schon wichen ihnen die Leute aus. "Ich weiß, es kann in den Kutschen schrecklich sein. Aber bei schlechtem Wetter hat es schon seine Vorteile." Seine Stimme klang sanft, obwohl er kühl wirkte. Hier und da wurde er gegrüßt und einige Männer sahen ihm nach.

Carlo nickte nur und ging weiter voran, während er immer wieder fühlte, wie ihm der Adelige nahe kam. Er sah natürlich auch die Blicke der Männer, die ihn grüßten und ihm nachblickten ... und er ahnte auch weshalb, denn es war allgemein bekannt, daß Raffaele Marzano sich gern mit anderen Männern traf. Doch trotzdem hatte Carlo keine Angst – denn noch immer blieben die Berührungen des Adeligen sittsam, er hielt ihn nur hin und wieder näher an sich, wie es ein Vater oder Bruder auch tun würde. Doch dann verflogen seine Gedanken, als sie an der Opernschule ankamen, die direkt neben dem Opernhaus lag. Man hörte aus den verschiedensten Fenstern Gesang und auch das Maßregeln strenger Stimmen ... und mit einem Mal wurde Carlo unsicher, schluckte schwer und blickte schließlich hilfesuchend zu Raffaele auf.

"Keine Angst, es ist eine gute Schule. Streng, aber sehr gut, von hier kommen einige der besten Sänger Italiens. Sei nur weiterhin so artig und gehorsam. Gib immer dein Bestes." Er ging nun mit Carlo die Treppe hinauf und ließ sich gleich zum Direktor der Schule bringen. Natürlich kannte der Raffaele und kuckte etwas verblüfft zu dem Jungen. "Ich möchte ihn hier an ihrer Schule anmelden, er ist ein wundervoller Sänger mit Talent." erklärte der Adelige und setzte sich. "So, so. Nun, dann möchte ich gern etwas hören, ich weiß, ihr habt ein Ohr für guten Gesang. Nun, Junge, sing etwas." Während er sprach, blickte der Direktor zu Giancarlo und Raffaele nickte dem Jungen aufmunternd zu.

Dieser war ihnen gefolgt und scheu im Hintergrund stehengeblieben ... erst, als der Direktor in ansprach, schluckte der Junge und antwortete ein leises "Äh ... gerne, Herr." und zögerte, ehe er tief Luft holte und leise zu singen begann. Es war das gleiche Lied, das er auch auf dem Friedhof gesungen hatte – und so leise es begann, je länger Giancarlo sang, desto sicherer wurde er und als er endete, errötete er und blickte wieder zu Boden. Er wußte nicht genau, was nun geschehen würde – einerseits freute er sich über den stolzen Ausdruck in den Augen Raffaeles, doch dieses komische Glitzern in den Augen des Direktors war ihm etwas unheimlich.

"Ihr habt mir da einen ungeschliffenen Diamanten gebracht." Der Mann war begeistert und betrachtete den schüchternen Jüngling. "Wie alt ist er?" fragte er und Raffaele sagte ihm, daß er dreizehn Jahre alt sei. "Fantastisch, dann können wir seine Stimme erhalten. Er ist perfekt zum Kastraten geeignet." Kaum hatte der Direktor ausgesprochen, fühlte Raffaele, wie Carlo sich hinter ihm versteckte und selbst ihm wurde ganz schlecht, wenn er nur ans Kastrieren dachte. "Das kommt auf keinen Fall in Frage, er wird nicht kastriert. Ich denke, ihr werdet wohl in der Lage sein, seine Stimme auch im Stimmwechsel zu formen, schließlich werde ich dafür bezahlen." Sofort erwiderte der Direktor ein "Aber natürlich können wir das. Verzeiht, ich ging davon aus, daß wir seine Stimme erhalten sollen."

Giancarlo blieb noch immer hinter seinem Gönner und versuchte, seinen fliehenden Herzschlag zu beruhigen ... er war zwar jung, doch er war nicht dumm, denn im Lager erzählten die Männer ungehemmt von ihren sexuellen Eskapaden. Und so wußte Carlo auch nur zu gut, was ein Kastrat war – und er wollte keinesfalls als solcher enden. Daß auch Raffaele so vehement dagegen war, bestärkte noch das Bild, das der Junge von ihm hatte: Inzwischen war er für ihn fast schon ein Ritter in schimmernder Rüstung, dieser Mann hatte ihm nicht nur eine Zukunft versprochen, sondern hielt das Versprechen auch und sorgte sich um sein leibliches Wohl. Erst, als er wieder normal atmen konnte, wisperte Carlo ein leises "Ich danke euch, Herr." und stand wieder auf, senkte höflich den Blick und hoffte, daß der Direktor ihm nicht böse war.

Der hatte bemerkt, daß der Junge scheinbar wusste, was ein Kastrat war und war es bedeutete, einer zu werden. Ein kluges Kind, jedoch wollte er Raffaele nicht verärgern und so akzeptierte er dessen Wünsche. "Ich werde der Schule natürlich auch weiterhin einige Spenden zukommen lassen. Ich erwarte, daß es meinem Schützling an nichts fehlt und daß er gut behandelt wird. Seine Fortschritte werde ich im Auge behalten." Letzteres sagte Raffaele mit Nachdruck und er duldete auch keine Widerworte. "Aber natürlich. Er wird sofort in die Gruppe der Schüler eingegliedert und ab Morgen wird er auch gleich in den Unterricht einbezogen." Somit war eigentlich alles besprochen und der Direktor zog an einer Klingelschnur, um einen der Schuldiener zu rufen. "Dein Name, Junge?" fragte er nun noch und schlug ein Buch auf, um ihn dann einzutragen.

"Giancarlo Ademari, Herr Direktor. Und ich danke euch, daß ihr mich aufnehmt." Carlo war wirklich dankbar und das sah man ihm auch an, als er sich zu Raffaele wendete, zögerte, und ihn schließlich kurz umarmte. "Ich danke euch, Herr – und ich werde mich bemühen, damit ich euch nicht enttäusche." Dann löste er sich wieder und packte seinen Beutel, folgte dem Schuldiener und hoffte, daß er es jetzt besser haben würde.

Raffaele sah ihm nach und unterhielt sich noch ein wenig mit dem Direktor. Er machte ihm auch noch klar, was passieren würde, wenn Carlo etwas zustoßen sollte.

~~~***~~~ Zurück im Jahre 1854 ... ~~~***~~~

"Ich hatte fast schon damit gerechnet, daß der alte Sack ihn kastrieren will. So schön der Gesang auch ist, ich wünsche es Keinem, kastriert zu werden, obwohl Einige es ja freiwillig tun." Raffaele schauderte und schmiegte sich enger an Antonio. Er hatte nichts gegen Kastraten, auch er hatte schon das Bett mit Einigen geteilt, er hatte nur etwas dagegen, wenn man es den Jungen gegen ihren Willen antat.

Auch Antonio schauderte es bei dem Gedanken und er zog seinen Freund noch ein wenig enger an sich, küßte ihn zärtlich und schmunzelte schließlich leise. "Also so ist das ... dieser wunderschöne, äußerst talentierte Sänger, der den Boden anbetet, auf dem du gehst, ist nicht nur dein Schützling sondern auch dein Sohn. Und ich dachte schon, du wärst krank ... denn du hast ihn nicht einmal in deinem Bett gehabt, obwohl er doch absolut dein Typ ist." Darüber hatte Antonio sich wirklich schon gewundert – denn auch er war ein Freund der Oper und begleitete Raffaele oft zu den Vorstellungen, und er hatte schon mehrfach den mittlerweile achtzehnjährigen, jungen Mann kennengelernt, der die Operngäste so begeisterte und Raffaele sichtbar anhimmelte.

Raffaele lächelte und küsste Antonio sanft. "Es ist die Hölle für mich, eine süße Qual ... und manchmal wünschte ich, er wäre nicht mein Sohn. Er vergöttert mich und ich weiß, er will mich ganz für sich haben, aber ich kann doch nicht mit meinem Sohn schlafen. Ich weiß nicht, ob er dieses Verlangen einfach so in mir weckt, oder weil er Elena so ähnelt." Man sah ihm an, wie zerrissen er war und daß er es wirklich nicht wusste. "Es ist besser, wenn es nicht passiert."

Leise seufzend, hielt Antonio ihn einfach nur an sich ... er fühlte, wie zerrissen sein Freund war und wollte ihm helfen, doch dies war etwas, wo er nicht helfen, sondern nur lindern konnte. Und so tat er genau das und hob das Kinn Raffaeles an, wisperte ein leises "Überlaß es dem Schicksal, was passieren soll." und küßte ihn, um ihn zumindest für diese Nacht auf andere Gedanken zu bringen. Der Morgen würde so oder so kommen und mit ihm neue und alte Sorgen – doch zumindest diese Nacht sollte frei von ihnen sein.

 

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