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”When the rain falls ...” 02
 

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Mit einem Korb, in dem einige Süßigkeiten und Zeitschriften waren, betrat Luka das Krankenhaus. Er wusste, daß hier solche Dinge sehr geschätzt und in den inliegenden, kleinen Läden sehr teuer waren. Einen Blumenstrauß brachte er nicht mit, denn er glaubte nicht, dass Law sich darüber freuen würde. Bevor er zu Law ging, machte er noch einen Abstecher in die Kinderstation und lachte leise, als dort ein Clown herumlief, der auch ehrenamtlich arbeitete. Er unterhielt sich kurz mit ihm und steckte ihm etwas Geld zu, damit er für die Kinder etwas besorgen konnte. Den Mann kannte er gut und er vertraute ihm. Erst danach ging er in den anderen Flügel und betrat leise das Zimmer von Lawrence. Der Blonde schlief noch und sah Heute schon ein wenig besser aus. Luka stellte den Korb auf einen Tisch und holte einige Sachen heraus. Unter anderem einen MP3-Player mit der Musik, die Law früher immer lautstark gehört hatte.

Es dauerte noch eine Weile, bis der Verletzte aufwachte, und es wurde begleitet von einem leisen, doch trotzdem verständlichen Fluchen. Law hatte eine mehr als nur miese Laune – denn einerseits war der vage Wunsch, daß dies alles nur ein Traum wäre, gleich nach dem Aufwachen verpufft; und andererseits haßte er die Schwester, die in der Nacht zuständig gewesen war, denn sie hatte ihm trotz seiner Proteste ein starkes Schlafmittel gespritzt, damit er ruhig war. Dann wurde seine Aufmerksamkeit jedoch von etwas anderem angezogen und er senkte mißmutig seine Brauen, als er Luka wieder neben sich sitzen sah. "Verdammt – was machst du schon wieder hier, Knipser ?!"

"Na, dich besuchen. Ich habe dir was mitgebracht, falls dich das Fernsehen langweilt." Er blickte kurz auf den Nachttisch, wo der MP3-Player lag. "Ich hoffe, die Musikauswahl gefällt dir ? Wie hast du geschlafen ? Du siehst schon besser aus." Luka wusste, daß er im Moment zuviel redete und Law würde sicher gleich wieder an die Decke gehen. "Und was zum Naschen habe ich auch mitgebracht. Das Essen hier ist nicht besonders."

Zuerst antwortete ihm nur ein kurzes Schnauben, ehe Law sein Gesicht zur Tür wandte und besonders laut brüllte. "Nicht besonders ?! Wenn ich wenigstens was zu essen kriegen würde !! Aber die verdammte Nachtschwester hat es ja lieber, wenn sie mich mit Schlafmittel ruhigstellt, als mir was zu essen zu bringen, verdammt !!!" Erst dann wandte sich Law zu Luka und musterte ihn wütend, blickte kurz zu dem Inhalt des Korbes, der für ihn sichtbar war und knurrte leise, als er zu ihm sprach. "Mach das verdammte Bett etwas höher – ich seh überhaupt nicht, was da alles liegt. Musik ist gut – gib mir den Player, ich klick mich mal durch. Fernsehen hab ich nämlich auch nicht gekriegt, außer so einen dummen Shoppingsender, was will ich damit !"

Luka schmunzelte nur und nahm die Fernbedienung. Er stellte das Bett höher als Gestern und legte sie dann so hin, daß Law auch herankam. "Hier ist die Fernbedienung für den Fernseher, ich rede mal mit der Schwester wegen was zu Essen. Ansonsten bestelle ich was außerhalb, wenn du magst ?" Er wartete aber noch, bis Law sich einen Überblick von dem Korbinhalt verschafft hatte.

"Hol mir was von außerhalb – den Krankenhausfraß kann ich nicht leiden. Und wenn sie was dagegen haben, dann können sie was erleben, verdammt nochmal ! Gute Musik – und auch die Zeitschriften gehen. Wenigstens hast du einigermaßen Geschmack, Knipser." Auch wenn Law sich noch immer mürrisch zeigte und es auch war – er war dankbar für die Sachen, die ihm Luka mitgebracht hatte, auch wenn er sich niemals dazu durchringen würde, sich dafür zu bedanken.

Das Lob reichte aber als Dank und Luka lächelte kurz. "Was magst du haben ? Pizza, China oder Burger ?" Was das anging, war er nicht so sicher wie bei der Musik. "Und magst du sonst noch was haben ?"

"Meine Beine – aber das kann ich mir ja abschminken. Also zisch ab, hol mir was chinesisches und sag der blöden Schwester, daß sie mir später was Richtiges zu essen bringen sollen ! Und daß ich verdammt nochmal dann schlafen will, wann ich will, nicht wann es ihr paßt ..." Law war deshalb noch immer angepißt – und daß er durch seine Verletzung nun darauf angewiesen war, daß er bedient wurde, besserte seine Laune nicht unbedingt. Zumindest mit der Musik konnte er sich nun etwas ablenken – also setzte er so gut es ging die Ohrstöpsel auf, schaltete den Player an und schloß seine Augen.

Somit war für Luka klar, daß er rausging. Er tat es und sprach noch mit der Schwester und diskutierte sogar ein wenig, bis er sie überzeugt hatte, daß sie Law kein Schlafmittel mehr verpasste, weil es jetzt nicht mehr nötig war. Gleich darauf verließ er das Krankenhaus und ging gleich Gegenüber zu dem Chinesen. Dort bestellte er etwas, das Law hoffentlich schmeckte und auch für sich bestellte er etwas. Somit kam er eine gute Dreiviertelstunde später zurück ins Krankenzimmer und räumte seine lecker duftende Beute aus.

In der Zwischenzeit hatte sich Law durch die Musik soweit entspannt, daß sogar seine Wut ein wenig verraucht war ... erst, als er das Essen roch, öffnete er die Augen und senkte kurz die Brauen, doch dann nickte er und nahm die Ohrstöpsel raus, stellte den MP3-Player aus und betrachtete die Eßkartönchen. "Also die Ente kannst du haben, ich mag das Zeug nicht – was ist das andere ? Das riecht recht gut ..."

Kein Hallo, kein Danke ... aber das war Luka egal. "Rindfleisch mit Sojasoße und Reis." Er nahm die Mahlzeit auf, stellte sie auf den Klapptisch und schob den dann über das Bett, damit Lawrence in Ruhe essen konnte. Besteck legte er gleich dazu und auch eine Dose mit Cola landete neben dem Teller. "Guten Appetit." wünschte er und setzte sich dann an den Besuchertisch, um sich dort seinem Essen zu widmen.

Und das war Law auch mehr als nur Recht – er haßte es, so eingezwängt und hilflos zu sein und wußte, daß er gut damit zu tun hatte, zu essen ohne zu kleckern. Zum Glück funktionierten seine Arme und Hände noch einwandfrei und auch sein Körper oberhalb der Achsel war vollbeweglich, so daß es durch das höhergestellte Rückenteil des Bettes leichter war. Trotz allem dauerte es die doppelte Zeit wie er normal brauchte, um fertigzuwerden ... und gerade, als er den Becher auf das Beistellnachkästchen stellte, kam wieder eine Schwester herein und mahnte ihn, was ihm einfiele, einfach fremdes Essen zu sich zu nehmen. Das brachte Law dazu, wieder völlig auszuticken und er brüllte die Schwester zusammen, daß er hier zuallererst einmal überhaupt nichts bekommen hatte, Hunger hatte und verdammt nochmal etwas Richtiges und keine Krankenhausfraß essen wolle. Und daß er ja wohl nichts am Magen hätte, sondern an der Wirbelsäule und daß sie sich ihr Gezeter sonstwohin schieben könne.

Luka hatte zum Glück auch schon gegessen und schob die Schwester höflich aus dem Zimmer. Er sprach leise zu ihr und bat darum, daß sie Law gefälligst wie einen Privatpatienten zu behandeln hatte, denn das war er. Das Zimmer war nicht billig, ebenso die Betreuung, da konnte man auch etwas Höflichkeit erwarten. Der Oberarzt des Krankenhauses bekam das mit und entschuldigte sich sogleich. Er war einer der wenigen Menschen, die wussten, daß Luka diesen Krankenhausflügel erst ermöglicht hatte und er kannte auch den verstorbenen Großonkel Lukas. "Vielen Dank." wisperte Luka und sah weiteren Schwestern nach. Hier war kaum eine ältere zu sehen und der Chefarzt seufzte leise. "Ich hab dem Vorstand gesagt, er soll ältere Schwestern in den Flügel holen, die jungen Dinger taugen alle nichts. Außer, daß sie gut aussehen." erklärte er leise und seufzte erneut, als so ein junges Ding an ihm vorbeistolzierte. "Vielleicht können sie Emma hier anstellen, sie wird die Küken schön zurechtstutzen ?" Luka kannte die ältere Schwester, sie war mitte Vierzig und hatte sich die Rolle als Stationsoberschwester schon lange verdient. "Sagen sie dem Vorstand, dass mir das sehr am Herzen läge." Der Chefarzt grinste und nickte. "Ja, die gute Emma ... eine gute Idee, ich werde sie dem Vorstand vortragen." Dann aber piepste sein Piepser und er verabschiedete sich eilig. Luka sah ihm nach und strich sich mit einem leisen Schnaufen durch die Haare. Er hasste es, so zu sein, aber er war hin und wieder nötig. Dann kam er wieder ins Zimmer und räumte die Schalen zusammen. "Ich habe mich darum gekümmert, daß die Schwestern ein wenig Dampf unter den Hintern bekommen. Ich hoffe, es klappt."

"Na, das hoffe ich auch – das war jetzt schon die Zweite, die man ungespitzt in den Boden hauen könnte ! Da sind mir ja noch die alten Fregatten lieber, die wissen wenigstens, was sie tun !" Man merkte überdeutlich, daß Law noch immer auf Hundertachzig war – und das konnte man auch an dem Piepsen der Geräte hören. Schließlich entschied sich der Verletzte einfach, auch seinen ungewohnten Besuch zu ignorieren und schaltete den MP3-Player wieder an, schloß die Augen und genoß die Musik, die ihn berieselte.

Luka lächelte nur und brachte die leeren Schalen raus in den Mülleimer, dann kam er wieder und setzte sich, um einige Infoblätter, die er wegen der Schulung bekommen hatte, durchzulesen. Innerlich schmunzelte er aber. Wenn Emma wirklich auf die Station kam, dann konnte Law sich auf was gefasst machen und die Schwestern auch.

Eine Weile konnte sich der Blonde mit der Musik ablenken ... doch nach einer Weile fluchte er leise und schaltete den MP3-Player aus, riß sich die Stöpsel aus den Ohren und funkelte seinen Besucher wütend an. "Sag mal – wie lang willst du hier eigentlich noch dumm rumsitzen und in die Gegend starren ?! Du regst mich auf."

"Ich lese, ich starre nicht vor mich hin." erwiderte Luka leise und sah freundlich zu dem Verletzten. "Wenn du willst, daß ich gehe, musst du es nur sagen." fügte er an. Er ahnte aber schon, daß Lawrence ihn wegschicken würde.

Und so war es auch – Law blickte ihn nur wütend an und zischte dann ein "Hau endlich ab – deine Visage geht mir auf den Geist !", ehe er die Ohrstöpsel wieder einsteckte und den Player anschaltete, sich so gut es ging eine der Motorradzeitschriften angelte und sie durchzublättern begann. Dabei wurde er allerdings immer wütender – und schließlich knüllte er sie zusammen, warf sie mit einem lauten "Verzisch dich endlich !!!" nach Luka und ballte die Hände hilflos zu Fäusten, da er nicht mehr tun konnte.

Luka hatte nur die Papiere zusammengeräumt und duckte sich unter der Zeitung weg, die ihn fast am Kopf getroffen hatte. "Bin ja schon auf dem Weg. Soll ich dir Morgen was Bestimmtes mitbringen ?"

"Neue Beine ! Und jetzt GEH endlich, ich kann dich nicht mehr sehen !!" Dann drehte sich Law weg und schaltete den Player wieder ein, verschränkte die Arme, so gut es ging und wartete ungeduldig darauf, daß der Andere endlich ging. Alleine schon, daß Luka gedankenlos genug war, ihm eine Motorradzeitschrift mitzunehmen, erfüllte ihn mit soviel Wut, daß er hörbar mit den Zähnen knirschte – sicherlich war es gut gemeint, da es eines seiner größten Hobbys war, doch gleichzeitig erinnerte es ihn auch daran, daß er es nicht mehr konnte.

Daran hatte Luka jedoch nicht gedacht, er hatte wirklich gedacht, daß er Law eine Freude damit gemacht hatte. "Bis Morgen." Mehr sagte er nicht, er verließ das Krankenzimmer und lächelte, als Emma ihm entgegenkam. Sie nickte ihm zu, er nickte ihr zu und das reichte ihnen Beiden, denn Beide lächelten zufrieden und sie klatschte laut in die Hände und rief sämtliche Schwestern der Station zu sich. Jetzt wurde aufgeräumt.

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Seit dem Unfall waren nun schon mehrere Wochen vergangen. Seitdem kam Luka jeden Tag vorbei und er war jedes Mal aus dem Zimmer gebrüllt worden, als er Lawrence besuchen wollte. Aber Heute saß er neben dessen Bett und wartete, daß der Blonde aus seiner Narkose erwachte. Law hatte die zweite OP hinter sich und sein Oberkörper steckte jetzt in einem Kunststoffkorsett, das auf seinen Körper angepasst worden war. Der Gips hatte nach einem von Lawrens Wutanfällen einen Riss bekommen und hätte eh ausgewechselt werden müssen. Emma war eben kurz dagewesen und hatte nach Law geschaut. Sie erzählte Luka ein wenig von seinen Wutanfällen und riet zur Vorsicht, weil er scheinbar langsam in eine Depression verfiel und damit war wirklich nicht zu spaßen, weil Law ziemlich aggressiv war. Luka hatte ihr gesagt, daß er aufpassen würde und nun saß er da und musterte das noch ruhige Gesicht des Blonden.

Es dauerte auch noch eine geraume Weile, bis Law langsam aufwachte. Er verfluchte die Narkosen und kniff kurz die Augen zusammen, ehe er sie langsam öffnete, dankbar dafür, daß Emma die Vorhänge zugezogen hatte. So oft er auch mit ihr stritt, er mochte ihre rigorose Art – sie war ihm jedenfalls lieber als die Schnepfen, die er zuvor gehabt hatte. Doch dann bemerkte er, daß Jemand neben ihm saß und knurrte erschöpft, drehte langsam den Kopf und grummelte ein leises "Wieso muß ich eigentlich immer dich sehen, wenn ich aufwache ?" zu seinem Besucher.

"Weil ich nunmal da bin." wisperte Luka und er reichte Law den Trinkbecher mit dem Strohhalm. "Du hast jetzt ein Korsett, das man an und abmachen kann, es ist bestimmt bequemer als der Gips." Er war froh, daß Law noch nicht ganz bei sich war, so konnte er ein wenig bei ihm bleiben. "Kommst du gut mit Emma zurecht ?"

Law trank erst einmal einige schwache Schlucke, ehe er den Kopf leicht wegdrehte und signalisierte, daß er genug hatte. "Sie ist gut – und wesentlich besser als das junge Modelgeschmeiß, das ich vorher hatte. Die Alte bringt den Laden gut in Schwung und weiß wenigstens, was sie tut. Auch wenn ich mich regelmäßig mit ihr anlegen muß, weil sie anfängt, mich zu bemuttern." Zu der Tatsache, daß er jetzt ein anderes Korsett besaß, sagte er noch nichts ... er mußte das erst verdauen, denn es bedeutete, daß er sich nun besser bewegen konnte, etwas, von dem er noch nicht wußte, wie er es fand.

"Da bin ich froh, daß es besser läuft. Ach ja, die nächsten Tage fängt eine leichte Reha für dich an." Der Arzt hatte ihm Bescheid gesagt, denn jetzt konnte nichts mehr passieren, selbst wenn Law eine unbedachte Bewegung machte.

Leise schnaubend, schloß der Blonde für einen Moment die Augen – allein schon die Vorstellung, daß er nun diese dummen Übungen machen mußte und dann trotzdem noch immer gelähmt war, regte ihn auf. "Als ob das was nützen würde – egal, ob ich das mache oder nicht, ich werde nicht mehr gehen können. Ist doch völlig für den Arsch !" Zumindest wußte er nun schon, was ihn erwartete und erfuhr es nicht von einer der Zicken oder einer strahlenden Emma.

"Aber du lebst ... du hättest auch tot sein können, sei doch froh, daß du noch lebst." Luka sprach das erste Mal etwas lauter. "Und du kannst deinen Unterleib zum größten Teil fühlen, Andere können das nicht und du hast eine Chance, dass du vielleicht mit Krücken gehen kannst, wenn deine Beine gestützt werden. Du solltest kämpfen."

"Kämpfen ?!! Nur, weil ich noch alleine pissen und scheißen kann und mir vielleicht auch noch einen Ständer kriege, soll ich jetzt Freudensprünge machen ?! Ich werde Zeit meines Lebens in einen verfickten Rollstuhl gefesselt sein – und nichts mehr von dem machen können, das mein Leben ausgemacht hat. Nichts mehr ! Sag mir mal, wie ich das Geld für ne Wohnung oder Essen verdienen soll ! Ich will nicht an irgendeinem Schreibtisch versauern, weil ein Arbeitgeber gezwungen ist, für seine Quote nen Krüppel einzustellen – oder hast du dir mal Gedanken darüber gemacht, wie ich SO nen Kerl kennenlernen soll, der kein Mitleid mit mir hat ?!! Verdammt, sag mir mal, wofür ich überhaupt noch leben soll, wenn das, weshalb ich mit meiner Familie gebrochen hab, jetzt für immer weg ist !" Law schäumte vor Wut – er ballte seine Fäuste und das Adrenalin schoß heiß durch seine Adern, so daß er plötzlich mit der Hand vorschnellte und Lukas Pulli packte, ihn knurrend zu sich runterzog und ihn anfunkelte.

"Dann baue dir was Neues auf, verdammt nochmal ! Du kannst auch einen Job ohne Schreibtisch bekommen, du kannst auch weiterhin Sport machen, nur eben im Rollstuhl. Wohnen kannst du bei mir, ich hab mehr als genug Platz und arbeiten kannst du im Jugendzentrum. Ich bin sicher, du kannst dich auch im Rollstuhl gegen ein Paar rotzfreche Teenager behaupten." Luka war ein wenig wütend geworden, er wollte nicht zulassen, daß Law sich einfach aufgab. "Und auf deine Familie ist doch geschissen. Dem arroganten Pack war doch eh alles egal. Und du ... moment, nen Kerl kennenlernen ? Bist du etwa Schwul ?" Luka wirkte jetzt doch etwas verblüfft.

"Ja, was dagegen ?! Bin ich jetzt nicht mehr gut genug für deine noble Hütte und dein Jugendzentrum ?! Ach verzisch dich, du kotzt mich an, Luka !" Diese so besonders fürsorgliche Art war Law schon die ganze Zeit seltsam vorgekommen und nun schien er den Knackpunkt gefunden zu haben, denn der Schwarzhaarige war viel zu baff, als daß er mit seinem Schwulsein zurechtkommen würde. Sicherlich würde er jetzt auch schnellstens gehen und sich die Hände waschen, damit er sich das Schwulsein nicht auch noch einfing.

Aber Luka war nur erstaunt, weil er nie gedacht hätte, daß Lawrence auf Männer stand. "Warum sollte ich etwas dagegen haben ? Hältst du mich für so intolerant ?" Luka wich doch etwas zurück, jetzt konnte er es, weil Law ihn losgelassen hatte. Er selber fühlte sich zu Männern hingezogen, ob er selber Schwul war oder nicht, hatte er noch nicht wirklich rausgefunden. Die Pflege seines Großonkels hatte ihm sehr viel Zeit seiner Jugend geraubt, auch wenn er es gern getan hatte. "Bei dir scheint es nur Extreme zu geben."

Laut und geringschätzig aufschnaubend, verschränkte Law die Arme und verengte seine Augen, als er ihn musterte. "Klar ? Wenn du so aufwächst wie ich, gibt es nur Extreme. Und so wie du gerade eben gekuckt hast, was soll ich anderes annehmen ? Dein Blick war ne Mischung aus Mitleid, Abscheu und so großer Überraschung, daß mich wundert, daß in deinem offenen Mund keine Vögel genistet haben. Und jetzt ? Wächst dein Samariterbedürfnis noch mehr an, weil ich nicht nur ein Krüppel, sondern auch noch eine Randgruppe bin ?" Der Gelähmte haßte es, bevormundet zu werden – das hatte er schon sein Leben lang gehabt und mußte es jetzt nicht auch noch von einem ihm eigentlich Fremden haben.

"Ich war nur überrascht, weil ich nicht gedacht hätte, daß du Schwul bist." Erst jetzt merkte Luka, daß er sich genau wie so ein falscher Samariter benommen hatte. Dabei hatte er es wirklich nur ehrlich mit Law gemeint. "Ich bin nicht so wie die aus deiner Familie, und wenn du den Eindruck hattest, dann tut es mir leid. Ich meine es ehrlich mit dir." ‚Auch wenn du es mir bestimmt nicht glauben wirst.' fügte er gleich in Gedanken an und er setzte sich einfach wieder.

Ihm antwortete nur ein Schnauben – dann öffnete sich die Türe und der Arzt kam mit der Oberschwester zur Visite und untersuchte ihn gründlich, während er Law ein halbes Ohr abkaute. Er war froh, als er wieder allein gelassen wurde und seufzte müde, als er bemerkte, daß Luka noch immer hier war. "Sag mal – und zwar jetzt ehrlich. Wieso machst du das ? Wir kennen uns nur vom sehen und das ist schon so lange her, daß ich dich eigentlich schon lange vergessen hatte. Hast du denn nichts Besseres zu tun als jeden Tag hierherzukommen und sobald sie mich hier rausschmeißen, auch noch den ganzen Tag für mich dazusein ? Ich hasse es, in Jemandes Schuld zu stehen – und bei dir steh ich schon mehr in der Kreide, als es mir passen kann."

"Ich habe nichts Besseres zu tun und ich bin ja auch nicht den ganzen Tag da, Nachmittags arbeite ich im Jugendzentrum und ich mache noch immer Fotos. Und warum ich das mache ? Ich weiß es selber nicht genau." Das Dumme war, daß es stimmte. Luka wusste es nicht genau. "Aber ich weiß, daß es richtig ist, das zu tun." fügte er leise an.

Einen Moment lang wußte Law nicht, wie er das aufnehmen sollte – doch dann schüttelte er nur den Kopf und seufzte, ehe er zu ihm grummelte. "Dann tu jetzt das Richtige und verschwinde, Knipser ... kümmer dich um deine Gören und laß mich hier schmoren, mich wundert eh, daß es dich nicht raushebt, ich muß stinken wie ein Schwein. Also hör auf, höflich zu sein und geh, ja ? Ich werde schon nicht vor Langeweile eingehen, Emma hält mich schon auf Trab."

"Oh, das hoffe ich doch." lächelte Luka und stand nun auf. "Und ich finde nicht, daß du stinkst. Aber ich denke, Emma wird dich Heute noch gründlich schrubben, mit dem neuen Korsett ist das viel besser möglich." Er packte seine Sachen während er sprach, und ging dann mit einem leisen "Bis Morgen."

Noch ein leises "Na klasse." murrend, von dem nicht erkennbar war, ob es jetzt dem Schrubben oder dem morgigen Besuch galt, nahm sich Law den MP3-Player von der Seite, steckte sich die Ohrstöpsel ein und schloß die Augen, um sich ein wenig mit der Musik abzulenken. Doch es half nichts ... seine Gedanken kehrten zwangsläufig wieder zu seinem Problem zurück und er ballte hilflos die Fäuste, denn seine Beine waren so taub wie ein Stück Holz ... und lagen auch genauso tot unter der Decke.

In dem Moment kam Emma reingeschneit. Sie hatte einen Rollstuhl mitgebracht und stemmte voller Tatendrang die Hände in die Hüften. "So, Jungchen. Der Katheter is weg und jetzt geht's ab auf den Topf." Hinter ihr kam ein fast zwei Meter großer Pfleger herein und wartete auf Emmas Befehle. "Und dann kommt der Waschlappen." Kaum hatte sie ausgesprochen, zog sie die Bettdecke weg.

"Sonst gehts noch gut oder was ?! Jetzt auch noch auf Befehl pissen und scheißen, spinnst du ? Und vor allem nicht, wenn DER da dabei zusieht, verdammt ! Er kann mich auf das Scheißding von Rollstuhl setzen, aber wehe, er kommt mit rein ! Und du verzischt dich auch, sobald ich sitze, ist das klar ?" Einerseits war Law mehr als nur froh, endlich nicht mehr auf so peinliche Dinge wie Katheder, Windel oder Einlauf angewiesen zu sein, da es mehr als nur erniedrigend war, sich nicht selbst helfen zu können – doch das hieß noch lange nicht, daß er nun das Bißchen wiedergefundene Selbstachtung vor dem Pfleger und der Oberschwester wieder verlieren mußte.

Das verstand Emma ja auch recht gut, aber was getan werden musste, das musste eben getan werden. "Ist ja gut, Jungchen." Mehr sagte sie dazu nicht, sie löste endlich die Drähte, die zum Monitor führten, ebenso die Windel, die leer im Müll landete und dann war Bob dran. Er nahm den Patienten gekonnt auf und verfrachtete Law in den Rollstuhl. Dann schob er ihn ins Bad und setzte ihn auf das Klo mit den Haltegriffen. Emma folgte und schickte Bob heraus. "Geht's mit dem Sitzen ? Und ich sag dir, wenn du mir vom Klo kippst, dann musst du auf den Topf. Ich lasse die Tür offen." Mit den Worten ging sie dann aber wieder hinaus. Bob war schon gegangen, denn ein Pfleger wie er wurde hier öfter gebraucht.

Ihr folgte nur ein kurzes Schnauben, während Law sich mit der Rechten am Griff festhielt. Es war das erste Mal, daß er ganz genau fühlte, was und wo an seinem Körper noch kontrollierbar war und mit einem inneren Aufatmen erleichterte er zuersteinmal seine Blase. Erst dann testete er aus, was möglich war, zog sich so geräuschlos wie möglich den Rollstuhl zum Klo und stellte die Bremse fest. Er erinnerte sich daran, daß er einmal gesehen hatte, wie sich ein Rollstuhlfahrer heraus- und wieder hereingehievt hatte und trotz des Korsetts sollte es ihm doch auch möglich sein. Es war erniedrigend, wenn ein solches Bild von einem Kerl wie der Pfleger ihn heben mußte wie ein Kind – zum Glück war Law früher Sportler gewesen, so daß es ihm nach ein wenig Manövrieren schließlich gelang, sich wieder in den Rollstuhl zu setzen. Eigentlich fast so, als ob er mit einem schweren Rucksack einen schwierigen Überhang beim Klettern hatte und die Beine freischwangen und nicht als Hebelpunkt dienen konnten, in dieser Hinsicht waren die Haltegriffe an den Wänden sehr praktisch. Dann rollte er an das Waschbecken und wusch sich noch kurz unten herab, ehe er wieder nach Emma rief.

Als Emma reinkam, blieb sie erstaunt stehen, dann aber schnaubte sie und klatschte Law mit der Hand an den Hinterkopf. "Ja spinnst du denn, du sturer Bengel ? Ich will nicht wissen, was hätte passieren können." Sie war zwar froh, daß der Blonde so selbstständig war, aber auch wieder nicht, denn es war nicht ohne, so kurz nach der OP. "Wegen dir altere ich viel schneller." schimpfend, drehte sie den Rollstuhl zu sich herum, dann griff sie sich den feuchten Lappen und hockt sich vor ihn, um ihm die Unterschenkel und Füße zu waschen. "Du musst erst die richtige Technik lernen, wenn du abrutscht, dann liegst am Boden und vom Boden in den Stuhl zu kommen, ist verdammt schwer."

"Ich bin nicht blöd – und ich war Freeclimber, Emma. Mir stinkt es nur, daß ich dauernd rumgehoben werde wie nen Invalide ... ich bin zwar ein Krüppel, aber längst nicht so stark, als daß ich gar nichts mehr kann, verdammt." Law konnte der Schwester noch nicht mal böse sein, denn er wußte, sie hatte Recht – doch andererseits wollte und konnte er sich nicht dauernd wie ein hilfloses Kind behandeln lassen.

"Na, wenigstens zeigst du jetzt Kampfgeist. In der Reha kannst du dich austoben. Und jetzt geht's zurück ins Bett und Futter gibt es auch." Sie rollte ihn zurück ins Zimmer, wo Bob schon wartete. Sie hoffte nur, daß Law weiter so kämpfte und daß er Luka später nicht das Leben zur Hölle machte, denn das hatte er jetzt schon immer getan, als er ihn jeden Tag aus dem Zimmer schrie. Aber das würde sich alles noch zeigen.

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