”Die weiße Rose des Ostens” 01
Mit raschem Galopp stob das Pferd durch den Sand und teilte scheinbar das Flimmern des heißen Sandes, das von weitem aussah wie Wasser, als würde das Tier samt Reiter aus den Tiefen eines Sees kommen. So fühlte Tahir sich frei wie der Wind, der heiß um ihn wehte. Am Sattel baumelten schon zwei Sandhasen, vornweg rannte eine Raubkatze durch den Sand und jagte einem weiteren Hasen hinterher. Der weiße Gepard war deutlich auf dem Sand zu sehen und doch war das Tier immer wieder erfolgreich bei der Jagd. Adan, der Gepard, war ein ebenso seltener Anblick wie sein Besitzer Tahir. Beide hatten weißes Haar und helle Augen und doch kamen sie klar und behaupteten sich in der Wüste. Adan packte den Hasen und biss zu, er ließ seine Beute aber wieder fallen, als er etwas erblickte. Auch Tahir sah etwas in der Ferne, erkennen konnte er es aber noch nicht. Sogleich zog er sein Schwert und ritt darauf zu. Langsam konnte er etwas erkennen, es war ein Mensch. 'Wahrscheinlich schon tot.' dachte der Araber und kam näher. Direkt bei dem leblosen Körper stoppte er und sah misstrauisch auf den Mann herab. Der lag mitten in der Sonne, hatte zerzaustes, schwarzes Haar und einen ebenso zerzausten Bart. Das Gesicht war halb verbrannt von der Sonne und die Lippen waren aufgesprungen. Eindeutig kein Araber.
Irgendetwas war anders .... die Sonne brannte nicht mehr so heiß wie zuvor auf den gemarterten Körper des jungen Kreuzritters und langsam drangen Geräusche in dessen Wahrnehmung, bekannte Geräusche. Es war das Schnauben eines Pferdes ... und das Schaben von Stahl auf Leder, Geräusche, die er seit seiner Kindheit nur zu gut kannte. Der junge Spanier mußte all seine noch verbliebene Kraft zusammennehmen, damit er seinen Kopf heben konnte - doch was er sah, ließ ihn mit weiten Augen erstarren, denn er sah nicht nur ein Pferd mit einem Reiter, sondern auch, daß dieser Reiter .... helle Augen und Haare hatte. Doch noch ehe er sich darüber wundern konnte, kam ein weißer Gepard in sein Blickfeld und der Schreck sorgte dafür, daß der halbverdurstete Spanier ohnmächtig wurde und wieder zurück auf den heißen Sand fiel.
Als der Fremde sich bewegte und ihn ansah, verengten sich Tahirs Augen ein wenig. Als der Fremde dann ohnmächtig wurde, stieg er von seinem Pferd ab und kniete sich zu ihm. Die Augenfarbe des Fremden war selten gewesen, zwar verhangen vor Durst, aber er hatte das helle Violett gut sehen können. Er beschloss, ihn mit sich zu nehmen, nahm seinen Wasserbeutel vom Gürtel und träufelte etwas von dem kühlen Nass auf die aufgesprungenen Lippen des Ausländers. Er war bestimmt einer dieser Ausländer, die versuchten, sie zu bekehren. Aber er war noch sehr jung, das sah man trotz des zerzausten Bartes ziemlich gut.
Das Wasser reichte, daß Amalric halb aufwachte, um trinken zu können - doch er fiel sehr schnell wieder in eine tiefe, erschöpfte Ohnmacht, denn die Strapazen der letzten Tage forderten nun endgültig ihren Tribut. Der junge Spanier war am Ende seiner Kräfte - seit vier Tagen irrte er nun schon durch die Wüste und sein weniges Wasser hatte er schon nach zwei Tagen aufgebraucht gehabt. Das Einzige, das er noch besaß, war seine Kleidung, sein Schwert und ein schmaler Tragebeutel, in dem er eine Bibel und ein leeres Buch samt Schreibzeug verstaut hatte. Das ... und sein inzwischen leerer, ausgetrockneter Wasserbeutel. Nicht einmal die instinktive Angst, von diesem Araber versklavt zu werden, konnte ihn noch wacherhalten - dazu war er einfach viel zu erschöpft.
Das empfand Tahir als Glück, er trank selber noch einen Schluck und band den Beutel wieder an seinen Gürtel fest. Da ging er auf Jagd und brachte einen Sklaven mit. Einen Ausländer mit violetten Augen. Mit etwas Mühe hievte er den Fremden auf den Rücken seines Pferdes und stieg dann selber wieder auf. Schwert und Beutel nahm er mit, man wusste ja nie. Wenn er etwas Glück hatte, stieg sein Ansehen ein klein wenig, aber Hoffnung machte er sich da nicht wirklich. Er war jetzt schon höher, als es der Sohn einer Nebenfrau sein konnte. Das aber nur, weil sein Vater bisher nur Töchter hatte und er der einzige männliche Nachkomme war. Ein Pfiff genügte, und Adan lief neben dem Pferd her, das sich vom Schritt übern Trab in den Galopp bewegte, um die Düne besser hinaufzukommen. Nach einer knappen Stunde kam er zu einer kleinen Oase. Dort würde er den Nachmittag und ein kleinen Teil der Nacht verbringen. Jetzt weiterzureiten, war selbst für einen erfahrenen Mann aus dem Wüstenvolk Wahnsinn. Sein Pferd konnte ihn und den Fremden eh nicht so lang tragen, und so stieg er ab und schubste den Fremdling einfach vom Rücken seines Pferds, so daß der sogleich in das Wasser der Oase fiel.
Erschrocken keuchte Amalric auf und ruderte verzweifelt mit den Armen, da das Wasser ihm die Luft abwürgte. Nur mit Mühe konnte der Erschöpfte sich schließlich aufrichten und stolperte an das Ufer, brach dort hustend und würgend zusammen und brauchte eine Weile, bis er wieder zu Atem kam und den Araber, der ihn in das Wasser gestoßen hatte, mit wütenden Augen ansah. Der junge Spanier wünschte sich, er könnte dem Anderen all die Schimpfwörter an den Kopf werfen, die ihm im Moment auf der Zunge lagen - doch seine Kehle war durch die Wüste so rau wie seine Lippen, so daß er nicht mehr als ein wütendes Knurren zustandebrachte.
Tahir musterte den Fremden und lachte leise. Der Anblick war wirklich köstlich. "Trink !" Er wies auf das Wasser, dann nahm er den Sattel seines Pferdes ab, damit er ein kleines Lager herrichten konnte. Das Tier ließ er einfach laufen und trinken, es würde nicht weggehen. Adan, der schon getrunken hatte, kam etwas dichter zu dem Ausländer und beschnupperte ihn neugierig.
Augenblicklich wich der junge Spanier zurück und knurrte die schlanke Raubkatze an, ehe er ein wenig zur Seite wich und mit einem wachsamen Blick zu dem Araber Wasser in seiner Hand schöpfte. Amalric hatte zwar nicht verstanden, was der Araber gesagt hatte - doch er hatte Durst und hier war Wasser und er sollte verdammt sein, wenn er nicht trinken würde. Während er seinen Durst stillte, beobachtete er diesen Fremden mit tief in die Augen gezogenen Brauen - noch nie zuvor hatte er einen Araber mit weißen Haaren und sandfarbenen Augen gesehen, so daß er schließlich ein kurzes "Teufel !" wisperte und deutlich mitklingen ließ, wie sehr er ihn verachtete. Was ihn vor allem störte war die Tatsache, daß er nur die Augen sehen konnte, da der Gesichtsschleier alles Andere verbarg.
Daß dieses Wort in Verachtung gesprochen worden war, blieb Tahir nicht verborgen. Es war zwar eine fremde Sprache, aber die Art, wie das Wort gesprochen worden war, sagte es ihm deutlich. Dazu der Blick, der ihn fast erdolchte. In den Augen des Fremdlings konnte man lesen wie in einem offenen Buch. Ein leiser Pfiff erklang, dann kam die Raubkatze zu seinem Herren und legte sich in den Schatten einer Palme. Adan war erschöpft vom Jagen und ruhte sich nun ebenso aus. Tahir nahm sich derweil den Beutel des Fremden vor und kramte die Sachen heraus, um sie anzusehen. Vielleicht war ja etwas Brauchbares dabei.
Diesen Moment nutzte der Spanier, um vorzuschnellen und den Hellhaarigen mit einem harten Schlag niederzustrecken. Amalric war rasend vor Wut - rauh aufschreiend, sprang er vor und holte aus, um seinen kräftigeren Körper zu nutzen und alle seine noch verbliebene Kraft in diesen Schlag zu legen. Dieser Araber hatte ein Pferd, Wasser und Proviant, und das wollte Amalric haben. Doch noch mehr als das schürte die Tatsache, daß dieser Ungläubige seine Bibel berührte, die unbändige Wut, die in seiner Familie schon legendär war.
Tahir war zum Glück ein flinker Bursche, so wich er dem Schlag im letzten Moment aus und ließ die Bibel fallen, um nach seinem Schwert zu greifen. Die Waffe zog er innerhalb eines Herzschlages und wenige Herzschläge später hatte Amalric auch schon die Klinge an seiner Kehle.
Doch es wäre nicht einmal nötig gewesen ... dieser Angriff hatte den Spanier seine letzte Kraft gekostet und so sackte er in seine Knie, fluchte leise und tat schließlich das Einzige, das ihm noch blieb: Er spuckte dem Hellhaarigen mitten ins Gesicht. Vielleicht würde der Ungläubige so wütend werden, daß er ihn tötete - alles war besser, als die Sklaverei, besonders, wenn er der Sklave eines Ungläubigen werden sollte.
Er bekam aber nur einen Schlag mit dem Handrücken ins Gesicht. Die Klinge hatte Tahir schon wieder von dessen Kehle genommen und er riss sich einen Moment später das angespuckte Tuch vom Gesicht. Vom Gürtel nahm er ein kurzes Seil und fesselte die Hände des Fremden. "Du wirst schon noch sehen, was du davon hast. Eigentlich solltest du dich glücklich schätzen, daß ich dein Leben gerettet habe." Er wusste, daß der Fremde ihn nicht verstand, es war ihm aber egal.
Seine Schwäche verfluchend, versuchte der junge Spanier, seine Hände aus der Fessel zu winden - doch er merkte schnell, daß es sinnlos war und verlegte sich schließlich darauf, den Araber in allen Sprachen die er kannte, zu verfluchen. Amalric ahnte schon, was passieren würde: Dieser merkwürdige Hellhaarige fesselte ihn, damit er ihn hinter seinem Pferd herziehen und zum nächsten Sklavenmarkt bringen konnte.
Nur war der nächste Sklavenmarkt viel zu weit weg. Tahir würde den Fremden zu seinem Stamm bringen, dort würde man weitersehen. Sklaven waren jedenfalls willkommener als er selber, dieses Gefühl hatte Tahir jedenfalls ziemlich oft. Als er den Fremden gefesselt hatte, nahm er die Tücher vom Kopf und wusch das Angespuckte im Wasser aus. Nebenher legte sich sein Blick immer wieder kurz auf den Fremden. Die Hände waren zwar gefesselt, aber dessen Füße waren es nicht.
Auch wenn es nicht viel ausmachte. Noch immer war Amalric erschöpft, denn das Wasser, das er hatte trinken können, war nicht genug, um seinen völlig erschöpften Körper wieder zu kräftigen. Was er jedoch nicht verhindern konnte, war, daß sein Blick immer wieder auf die Bibel und sein Schreibzeug fiel - die einzigen Besitztümer, die er neben seinem Schwert und dem Siegelring an seinem Finger noch hatte. Dem jungen Spanier fiel nur etwas überdeutlich auf: Dieser Araber war kein reiner Araber, die fast knielangen, im Nacken zu einem Zopf geflochtenen Haare waren schneeweiß und jetzt, da er sie nicht mehr in diesem Kopftuch verbarg, sah man sie mehr als nur deutlich in der untergehenden Sonne aufleuchten.
Als Tahir einen der Blicke spürte, wendete er sich herum. Seine Augen leuchteten ein Moment dämonisch im Licht der untergehenden Sonne. Es war aber nur eine kurze Illusion, die dafür sorgte, daß Manche glaubten, er sei ein böser Dschinn. Mit dem gewaschenen Tuch kam er wieder zum Lagerplatz und er setzte sich nieder, um sich die Bibel erneut anzusehen. Der Umschlag war mit Gold beschlagen und mit Edelsteinen und Perlen verziert. Sehr wertvoll, also eine gute Beute.
Erneut knurrte Amalric laut auf - der Ungläubige berührte ein weiteres Mal seine wertvolle Familienbibel und wenn er es könnte, würde der junge Spanier den Anderen mit den Händen zerfleischen. Doch er war noch immer geschwächt und dazu noch gefesselt, und so verlegte er sich weiterhin darauf, mit heiserer Stimme den hellhaarigen Araber zu verfluchen, auch wenn er wußte, daß dieser ihn nicht verstand. Er hoffte, daß er des Nachts fliehen konnte ... auch wenn er nicht viel Hoffnung hatte, da dieser Hellhaarige noch frisch und ausgeruht schien und dazu noch diese teuflische, weiße Raubkatze bei sich hatte.
Die schlief tief und fest im Schatten und auch Tahir würde sich noch etwas ausruhen. In der Nacht würde es weitergehen, aber jetzt entzündete er ein kleines Feuer und häutete einen der Hasen, um diesen dann auf dem Feuer zu rösten. Als das Fleisch fast durch war, fing er an, es von den Knochen zu nagen und ließ es sich schmecken. Sein Blick lag dabei weiter auf dem Fremden. Er musterte ihn etwas nachdenklich und überlegte, ob er ihm nicht auch etwas abgeben sollte.
Mittlerweile war Amalric dazu übergegangen, den Araber nur wütend anzufunkeln ... seine Kehle war einfach viel zu rau, um ihn noch weiter zu beschimpfen. Doch auch wenn er Hunger hatte, er würde sich niemals dazu herablassen, um ein Stück von dem herrlich duftenden Hasenbraten zu bitten - dazu hatte er einfach zuviel Stolz, auch wenn er schon seit Tagen nichts mehr gegessen hatte.
Tahir beschloss auch, ihm nichts zu geben, der Fremde schien noch genug Energie zu haben, wenn er so lange fluchen und ihn, als er das nicht mehr konnte, so schön böse anfunkeln konnte. So nagte er genüsslich die Knochen ab und vergrub sie etwas entfernt vom Lager im Sand. Das Fell des Hasen würde er mitnehmen. Jetzt war für ihn das andere Buch interessant, zu seiner Enttäuschung war es leer, aber er warf es nicht weg, sondern packte es ein, um einen Moment später das Tintenfässchen zu inspizieren. Die Tinte, das Buch und die Feder würde er für sich behalten. Das Schwert und das andere Buch würde er seinem Vater bringen. Vielleicht bekam er ja eine Belohnung. Viel erhoffte er sich allerdings nicht. Sein Blick legte sich wieder auf die böse funkelnden Augen des Fremden. Daß der ihn hasste, war ja wohl kaum übersehen, und so huschte ein amüsiertes Lächeln über Tahirs Lippen, wobei seine Augen leicht zu funkeln schienen. Er lächelte oder grinste eher selten, irgendwie verschreckte er damit immer die Anderen. Dabei konnte er ja nichts dafür, daß sein Lächeln etwas Dämonisches an sich hatte.
Ein Gedanke, der auch dem jungen Kreuzritter kam. Diese hellen Haare leuchteten schon fast im Licht der Monde und die hellen Augen unterstützten noch das Dämonische dieses Arabers, da die dunkle Haut ihn fast mit der hereingebrochenen Dunkelheit verschmelzen ließ. Hier, mitten im Land der Ungläubigen, einen Mann mit solcher Haar- und Augenfarbe zu sehen, war mehr als nur ungewöhnlich - doch Amalric wollte gar nicht wissen, aus welcher Hölle dieser Araber entsprungen war, er wollte nur seine Sachen wiederbekommen, diesen Dämon töten und dann fliehen.
Tahir würde den Teufel tun und sich überrumpeln oder töten lassen. Er hatte sein Leben lang zu kämpfen gehabt, daß er überlebte, und war dementsprechend immer vorsichtig. Er lehnte sich langsam etwas zurück an den Sattel seines Pferdes und schloss seine Augen, um etwas zu dösen. Nicht mehr lange, dann würden sie weitergehen. Das Lager war noch ein Stück weg und mit einem Sklaven war der Weg nicht gerade leichter.
Dies war der Moment, auf den der Schwarzhaarige gewartet hatte .... unauffällig spannte er seine Muskeln an und sprang dann auf, um den vermeintlich schlafenden Araber mit einem Fußtritt außer Gefecht zu setzen. Doch zu seiner Überraschung traf er nur den Sattel - laut fluchend, sah er sich um und versuchte, herauszufinden, wohin der Andere so schnell verschwunden war, denn mittlerweile war es dunkel und im Dunkeln sah Amalric nur sehr schlecht.
Das Nächste, was Amalric spüren konnte, war ein Fausthieb gegen die Schläfe und sehen tat er etwas, das dunkler war, als die Nacht... die Schwärze einer Ohnmacht. "Dummkopf." murmelnd, nahm Tahir ein weiteres Seil und wickelte es dem Fremden um die Füße. Es war erstaunlich, wie dumm der Fremde war. Hatte er tatsächlich gedacht, daß er ihn im Schlaf überraschen konnte ? "Dummkopf." murmelte Tahir erneut und schleppte den Fremden ein Stück weit weg, damit er nicht zu dicht bei ihm lag. Erst dann legte er sich selber wieder hin und fiel in einen Wachschlaf, um etwas Kraft zu tanken.
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Es war zwar noch Nacht, aber Tahir erwachte, als hätte er eine innere Uhr. Ein kleiner Skorpion saß auf seiner Brust und er schnippte ihn leise knurrend weg. Es war Zeit zum Aufbrechen. Adan war, wie es schien, schon wach und trank einige Schlucke. Tahir selbst stand langsam auf und klopfte sich den Sand von der Kleidung. Dann kam er zu dem Fremden und stubste ihn etwas fester mit dem Fuß an. "Wach auf !"
Leise keuchend, kam Amalric zu sich und versuchte unwillkürlich, sich aufzusetzen - doch er fiel sofort wieder zurück, da er an Händen und Füßen gefesselt war und das Gleichgewicht verlor. Nur langsam kam ihm, wieso er in dieser Lage war - und sein Blick fiel sofort auf den Araber, der sein Tuch wieder angelegt hatte und ihn nun aus seinen hellen, im Mondlicht schimmernden Augen, anfunkelte. Doch der junge Spanier funkelte zurück, denn mittlerweile hatte er eingesehen, daß es nutzlos war, den Araber zu beschimpfen, da dieser es ja eh nicht verstehen konnte.
Tahir kniete sich zu dem Fremden und fesselte ihn anders. Die Hände vor und die Beine gab er frei, damit er laufen konnte. Als er sich wieder aufgerichtet hatte, wies er zum Wasser. "Trink." Seine Anweisung war eindeutig. Er selber hob den Sattel auf und machte das Pferd reisefertig. Weglaufen konnte der Fremde eh nicht und wenn, würde er ihn rasch wieder eingefangen haben.
Leise murrend, ging der Schwarzhaarige zum Wasserrand und schöpfte mit seinen gefesselten Händen Wasser, trank es durstig und atmete tief ein, da es ihm schon um Einiges besser ging. Doch er ließ den Hellhaarigen nicht einen Moment aus den Augen, denn auch wenn er im Moment im Nachteil war, so würde er jede sich bietende Gelegenheit sicherlich nutzen. Lediglich der weiße Gepard, der noch immer mißtrauisch um ihn herumschlich, beunruhigte den jungen Spanier, denn er wußte, daß diese Raubkatze mehr als nur gefährlich war.
Gefährlich nicht nur wegen der Fänge und der Schnelligkeit, sondern weil Adan Tahirs zweites Augenpaar war. Wenn er nicht hinsah, tat Adan es und umgekehrt, so war der Fremde nie unbeobachtet. Mit einem "Hey !" machte Tahir auf sich aufmerksam, dann warf er Amalric eine kleine Frucht zu, damit der noch ein klein wenig was im Magen hatte. Seine Sachen waren schon verstaut und auch das Schwert und die Bibel waren sicher verschnürt. Tinte, Feder und das leere Buch hatte Tahir versteckt.
Der Spanier fing die Frucht und schlug sofort die Zähne hinein, denn er hatte einen reißenden Hunger, der gestillt werden wollte. Daß ihn der Gepard dabei beobachtete, nervte ziemlich, doch schließlich hatte Amalric die Frucht gegessen und musterte aus verengten Augen, wie der Araber sein Buch und sein Schreibzeug versteckte. Dies war merkwürdig - wieso versteckte er etwas, während er die Bibel und das Schwert deutlich sichtbar am Sattel befestigte ? Seltsam und etwas, das er im Hinterkopf behielt, vielleicht konnte es nützlich sein.
Tahir war fertig und kam mit einem längeren Seil zu dem Fremden. Als er bei ihm war und es an den Handfesseln befestigte, fiel sein Blick auf den Siegelring, den Amalric trug. Tahir zögerte nicht lange und nahm ihn flink von dessen Finger und verstaute ihn in dem Beutelchen, das an seinem Gürtel hing. Auch den würde er behalten. Er trug zwar selber ein klein wenig Schmuck, aber er wollte ihn nicht zum tragen haben, sondern als Sicherheit für schlechte Zeiten, die bei ihm zu jeder Zeit auf ihn zukommen konnten.
Einen Moment lang wollte ihm der Spanier schon an die Gurgel gehen, doch er hielt sich mit großer Mühe zurück, da er wußte, daß er keine Chance hatte. Auf diese Weise wußte er wenigstens, wo der Ring war, wenn er sich befreien konnte - und er war sich nicht sicher, was nun mit ihm passieren würde, und so konnte er sich wenigstens sicher sein, daß zumindest ein Großteil seiner Sachen an einer Stelle war.
Daß Amalric ihn nicht angriff, verwunderte Tahir ein wenig, er tat es dann aber ab und ging mit dem Seil zu seinem Pferd, um es am Sattelknauf zu befestigen. Gleich darauf schwang er sich auf den Rücken des Pferdes und trieb es zum Schrittgehen an. Ein Pfiff sorgte dafür, daß Adan neben dem Pferd herlief, er wechselte aber seine Position, als Tahir ihm etwas zuwisperte und ließ sich zurückfallen, um hinter dem Fremden herzutrotten.
Es kostete den Spanier ziemlich viel Überwindung, nicht zu bocken - er wußte, daß er nicht gegen das Pferd ankam und er wollte nicht hinterhergezerrt werden, diese Genugtuung wollte er dem Ungläubigen nicht geben. Zumindest ließ Jener das Pferd nicht schneller laufen, scheinbar wollte dieser Araber nicht, daß seinem Sklaven etwas passierte, das den Wert mindern könnte. Dieser Gedanke ließ Amalric kurz aufschnauben - er verabscheute die Ungläubigen und die lässige Art, mit der diese Fremde, die sie gefangennahmen, kurzerhand als Sklaven verkauften und sich so bereicherten.
Das war aber nun mal Sitte. Sklaven waren nunmal üblich. Er selber war ja auch der Sohn einer Sklavin, aber er war eben der einzige Sohn seines Vaters, und bis die erste Frau seines Vaters einen Sohn gebar, würde er noch ein relativ angenehmes Leben führen können. Daß der Fremde so willig mit ihm ging war positiv, es erleichterte vieles. Vielleicht war er doch nicht so dumm.
Amalric war zwar nicht der Klügste, doch selbst er wußte, wann es besser war, nachzugeben und eine bessere Gelegenheit zur Flucht abzuwarten. So trottete er scheinbar friedlich hinter dem Pferd her und verfluchte die Raubkatze, die ihn nicht aus den Augen ließ ... wenn sie nicht wäre, hätte er den Araber bestimmt in einem unbedachten Moment überwältigen können, doch so gab es keinerlei Chance. Erst nach einigen Stunden bemerkte er, daß die Tiere und auch der Hellhaarige leicht unruhig wurden - und schon bald sah er auch warum und es ließ einen Moment lang Panik in dem jungen Spanier erwachen, doch er kämpfte sie wieder nieder und wandelte sie in heiße Wut. Vor ihnen tauchten die im erwachenden Morgenlicht sichtbaren Umrisse von Zelten auf - ein Beduinenlager, und dieser Araber ritt schnurstracks darauf zu, was darauf schließen ließ, daß er dort lebte. Und nun würden sie ihn dort als Sklaven verkaufen - ein Gedanke, der Amalric die Galle überkochen ließ, doch noch hielt er sich zurück, er würde sich schon zu wehren wissen, und wenn er nur seinem neuen Herrn in einem unbeobachteten Moment das Genick brach oder ihn erwürgte. Daß dies seinen eigenen Tod unweigerlich zur Folge haben würde, wußte der Schwarzhaarige - doch zumindest hätte er dann noch die Chance gehabt, einen Ungläubigen mit sich in den Tod zu nehmen und wenigstens im Kleinen seiner Ehre als Kreuzritter Genüge getan.
Tahir sah sich kurz um zu dem Fremden, der auch für ihn ein Ungläubiger war. Man sah, wie die Wut in dem Schwarzhaarigen hochkochte, die Augen verrieten ihn doch sehr deutlich. Tahir wendete sich dann aber wieder nach vorne und nahm das Tuch von seinem Gesicht. Er rief kurz den Stammesruf, damit er gleich erkannt wurde. Prompt kam eine Antwort und so konnte er beruhigt ins Lager reiten. Eigentlich war es ja dumm, mit seinem weißen Geparden wurde er eh immer schon von weitem erkannt. Fehler wollte er sich dennoch nicht leisten, sein Leben stand immer auf der Kippe. Als er ins Lager ritt, kamen einige der Männer aus den Zelten, die Frauen hielten sich zurück, wie es üblich war, nur einige Jungen kamen ebenso heraus und schauten neugierig auf den Ungläubigen, den Tahir mitgebracht hatte. Selbst sein Vater schien neugierig und kam aus dem Zelt.
Der alte Araber nickte bei dem Anblick des gefangenen Kreuzritters und einen Moment lang zeigte sich ein erfreutes Lächeln - doch es verschwand wieder so schnell, wie es gekommen war, als Ahmed vortrat und den Spanier musterte. Er wollte ihn gerade inspizieren, wie er es mit jedem Sklaven machen würde, als Amalric vorschnellte und den Alten packte - doch er kam nicht weiter, da zwei der Krieger ihn niederschlugen, ehe er ihrem Anführer etwas tun konnte. Mit einem mißbilligenden Schnauben spuckte Ahmed auf den bewußtlosen Gefangenen und wandte sich dann wieder seinem Sohn zu, den er kurz musterte und schließlich nickte. "Er wird viel Geld bringen auf den Sklavenmärkten ... doch noch ist er zu widerspenstig, er muß gebrochen werden. Ich werde ihn dir für diesen Zweck überlassen, Tahir ... und ich erwarte, daß du meine Wünsche erfüllst. Hatte der ungläubige Hund etwas bei sich ? Er scheint einer dieser Ritter zu sein, die immer öfters in unsere Wüsten kommen ...."
Tahir war von seinem Pferd gestiegen und fluchte innerlich, als er die undankbare Aufgabe erhielt, den Fremden zu brechen. Er sagte aber nichts, sondern nahm die Beute vom Sattel. "Ich werde euch nicht enttäuschen. Dies hier hatte er bei sich." Beides reichte er seinem Vater und er neigte ein wenig seinen Blick dabei. Das würde seinen Vater sicher sehr milde stimmen.
Der Ältere nahm den Beutel ungeduldig entgegen und öffnete ihn - mit einem kurzen, erfreuten "Ahh...." holte er die edelsteinbesetzte und goldbeschlagene Bibel heraus und nickte, denn sie war ein unvergleichlicher Schatz, der einem Jeden zeigte, daß Ahmed einen hochrangigen Ungläubigen besiegen und versklaven konnte. Auch das Schwert erhielt ein wohlwollendes Nicken, auch wenn es für den Araber völlig ungeeignet war. Doch es konnte als Zierde dienen und ebenso wie dieses Buch, das die Ungläubigen so verehrten, zu seinem eigenen Ruhm gereichen. "Gut, Tahir - ich überlasse diesen Sklaven nun dir, ich erwarte, daß er so schnell es geht, gefügig gemacht wird." Dann drehte der ältere Araber sich um und ging wieder in sein Zelt zurück, legte die wertvollen Beutestücke auf die Seite und kam zu seiner hochschwangeren Hauptfrau, um ein wenig bei ihr zu sein und darum zu beten, daß sie ihm endlich einen Sohn schenkte.
Der Hellhaarige hielt den Blick gesenkt, bis sein Vater in seinem Zelt verschwunden war. Sein Pferd hatte schon einer der Sklaven weggeführt, um es zu versorgen. Tahir winkte noch zwei weitere Sklaven heran, die den ungläubigen Ritter in sein Zelt schafften. Im Gegensatz zu den anderen Zelten war seines recht klein und spartanisch eingerichtet. Jedenfalls im Verhälnis zu anderen Zelten, trotz allem reichte es für einen Mann, der wohl nie eine Frau bekommen würde und auch so eigentlich kein Interesse an den Frauen hatte, aus. Adan legte sich gleich auf seinen Platz und Tahir schickte die Sklaven weg, als sie Amalric abgelegt hatten. Von jetzt an musste sich Tahir um ihn kümmern. "Eine tolle Belohnung." seufzte er und machte sich daran, den Fremden zu entkleiden. Als er ihm alles bis auf das Tuch, das der Fremde um die Hüften trug, entfernt hatte, nahm er die Kette, die eigentlich für Adan war, von der Seite und kettete Amalric so an den stabilen Zeltpfosten fest.
Doch von all dem bekam Amalric nichts mit, da er noch immer bewußtlos war - und es auch noch für eine geraume Weile bleiben würde, denn die Wachen hatten mit den Knäufen ihrer Schwerter fest zugeschlagen.
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