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Suchar und Miguel 02
 

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Während Miguel weg war, lief Suchar in seiner Zelle hin und her, fast wie ein gefangenes Tier, das im Käfig saß. Er hielt es in der gepolsterten Zelle kaum mehr aus. Allein schon, daß er nicht wusste, ob es Tag oder Nacht war, welcher Tag es war, machte ihn nervös. Daß er noch kein Essen bekommen hatte, bemerkte er daher auch nicht. "Warum strafst du mich, Gott...oder prüfst du mich nur ?...Ich hab dir doch immer treu gedient....Aber du wirst wissen, was du tust, du weißt alles." Er murmelte leise vor sich hin, dann setzte er sich doch wieder in eine der Ecken und blickte abwartend auf die gepolsterte Tür. Weit oben hatte er ein Ding gesehen, was ein leises, summendes Geräusch machte, es störte ihn in seiner Ruhe ein wenig und er sah es missmutig erneut an.

Leise seufzend betrachteten ihn der Spanier und der Stationsarzt durch den Monitor - dann seufzte der Arzt auf und nickte, gab dem schlanken Pfleger damit die Erlaubnis, mit dessen Idee weiterzumachen und Miguel bedankte sich und verschwand sofort, ehe der Arzt es sich anders überlegen konnte. Dann trabte er gutgelaunt durch die Gänge und holte aus seinem Spind die Folie mit den Unterlagen - nahm auch das Tablett mit der Suppe, die in einer Kunststoffschüssel war und betrat die Zelle des Blonden. "Da bin ich wieder, mein Herr - ich habe ihnen ein wenig zu essen mitgebracht, ich denke, sie werden großen Hunger haben. Bitte seien sie vorsichtig mit dem Löffel - er ist zerbrechlich. Wenn sie gegessen haben, dann möchte ich ihnen etwas zeigen - doch bis dahin lassen sie sich ruhig Zeit und genießen sie die Suppe, sie ist frisch und warm."

Suchar sah zu Miguel auf, er bleib bewusst sitzen und nahm das Tablett entgegen. Etwas skeptisch besah er sich den Plastiklöffel und den Plastikteller. Er stellte dann aber doch lieber keine dummen Fragen. "Ich danke euch, mein Herr... Ich würde gern euren Namen noch erfahren, mein Herr." Bat er, sprach ein leises Gebet und tauchte dann den zerbrechlichen Löffel in die Suppe, bevor er kostete. Er nickte zu sich selber, sie schmeckte einigermaßen und er aß langsam weiter. Er hatte das Gefühl, lange nichts mehr gegessen zu haben, sein Magen machte regelrechte Luftsprünge aufgrund der Nahrung.

Der junge Spanier nickte und setzte sich an dessen Seite ... wartete ruhig, bis dieser zu Ende gegessen hatte, ehe er das Tablett nahm und zur Seite stellte. Dann hielt er ihm die Hand hin und lächelte freundlich, während er ihm antwortete. "Mein Name ist Miguel Santerberg, mein Herr. Und bevor sie sich wundern - mein Vater ist ein Deutscher und hat in Spanien ein Häuschen gekauft und dort meine Mutter kennengelernt. Ich lebe zwar schon seit sechs Jahren in Amerika, aber ich besuche sie noch regelmäßig. Woher stammen denn sie, mein Herr ?"

"Amerika ?" Suchar sah Miguel etwas verwirrt an, von so einem Land hatte er noch nie gehört. "Ich bin Germane, ihr sagtet, ihr kennt mich, ihr müsstet es dann eigentlich wissen. Ich wurde in Burg von der Adlerhöhe geboren." Suchar verstand die Fragen nicht wirklich, er war eigentlich nicht dumm, aber der junge Mann namens Miguel war ihm nicht ganz geheuer.

Mit einem leisen Seufzen nahm der schlanke Pfleger die Folie zur Hand, die er bisher an der Seite liegenlassen hatte - zog daraus die Kopien und reichte die Erste dem Blonden, während er sich näherneigte. "Das ist die Burg Adlerhöhe ... ein Bild davon, wie sie jetzt aussieht. Hier...." Mit den Worten reichte er ihm das nächste Blatt. ".... sieht man den Innenhof oder zumindest das, was übriggeblieben ist nach all den Schlachten, die gefochten wurden. Und hier haben wir ein Bild, das sehr interessant für sie sein könnte - zu Lebzeiten des Ritters Suchar lebte ein berühmter Mönch, Anselmus von Bern, der eine Chronik der von Adlerhöhe verfaßte. Hier sehen sie sie auf dem Bild - und hier ist genau beschrieben, wie der edle Ritter Suchar 1168 nach Christus heldenhaft gestorben ist. Es ist auch hier im Stammbaum vermerkt, sehen sie ? Da - 'verstorben am glorreichen Tage 16. Auguste des Jahres 1168 des Herrn. Möchte Gott sich seiner Seele erbarmen und ihm den Platz im Himmel sichern, den er sich zu Lebzeiten wohlverdiente.'. Diese Worte habe sie auch in den Deckel des Sarkophags gemeißelt - ich gebe zu, sie haben eine große Ähnlichkeit mit dem Bildnis, doch dann wären sie schon über 800 Jahre alt und das ist unmöglich." Mit den letzten Worten reichte er Suchar das Foto des Sarkophags - man sah deutlich das friedliche Gesicht eines sehr kräftige Mannes, der in Kettenhemd und dem Wams der Ordensritter sein Schild und das Schwert mit den friedlich gefalteten Händen hielt.

Suchar sah sich schweigend alles an, über die Fotos direkt staunte er nicht, nur über das, was er auf dem Papier sah. Sein Gesicht wurde immer bleicher. Vor allem der alte Stammbaum und der Sarkophag sorgten für den Schock, der sich vertiefte, als Miguel die achthundert Jahre erwähnte. "Das... Das ist nicht wahr... 800 Jahre, das kann nicht sein...ich erinnere mich doch noch an das Kind... Das Kind im Fluss..." Er hauchte fast nur seine Worte und starrte fassungslos auf die Bilder.

"Ich kenne die Legende, mein Herr - sie hat mich fasziniert, als ich das erste Mal davon las. Wie selbstlos sich der Ritter in die reißenden Fluten stürzte, ungeachtet der Gefahr, die das Gewitter bedeutete. Wie er das Kind aus den Strudeln rettete und noch an Land werfen konnte, ehe er selbst erfaßt und unter Wasser gezogen wurde. Das Kind konnte Damals gerettet werden und wurde von der Schwester des Ritters aufgezogen - er ist selbst ein berühmter Ritter geworden, Ritter Eberhardt von der Adlerhöhe, seht ihr, hier ist sein Name. Suchar hat man erst nach zwei Tagen, als das Gewitter aufhörte, gefunden - doch am Merkwürdigsten war, daß er keine Anzeichen von Verfall zeigte, sein Körper glich einem Schlafenden und der Geruch von Honig und Blumen soll ihn umgeben haben. Noch Heute wird er in der Stadt als Schutzpatron der Reisenden und der Kinder verehrt, auch wenn er niemals heilig gesprochen wurde." Mit diesen Worten verstummte Miguel wieder - betrachtete den Blonden neben sich und die mehr als nur offensichtliche Verwirrung .... strich ihm sanft über den Arm und wisperte ein besorgtes "Ist ihnen nicht gut, mein Herr ?", während er sich ein wenig zu ihm neigte.

Der Blonde gab keine Antwort, Suchar zog seinen Arm ruhig weg und an sich. "Das kann doch nicht sein...." wisperte er fast lautlos, ein paar Tränen verließen seine Augen und perlten über seine Wangen, es waren nur zwei oder drei. ‚Ein Test... Dann ist es eine Prüfung, all das hier... Ich verstehe, erst dann darf ich zu dir, Herr... Ich werde sie bestehen.' Er sprach in Gedanken und wischte sich die Tränen von der Wange. "Wer bin ich dann, wenn nicht Suchar von Adlerhöhe ?"

Leise seufzend, lehnte der junge Spanier sich an der Wand an - zuckte dann mit den Schultern und sah mitfühlend zu dem Blonden, ehe er leise zu ihm sprach. "Das wissen wir nicht, mein Herr. Als man sie an der Straße aufgriff, waren sie nicht ansprechbar - sie schlugen auf die Autos ein, als ob es Monster wären und verletzten mehrere Wachmänner, ehe man sie endlich stoppen konnte. Hätten sie eine Waffe gehabt, hätte es vielleicht sogar Tote gegeben. Wir haben sie als 'John Doe' eingetragen, das ist ein falscher Name, bis wir ihren Richtigen herausgefunden haben. Eigentlich hatte ich gehofft, ihn von ihnen zu erfahren, aber das scheint mir nun ausgeschlossen zu sein. Ich werde sie John nennen, einverstanden ? Bis wir ihren richtigen Namen herausgefunden haben und auch, ob sie Verwandte oder Bekannte haben, die sich um sie sorgen."

"John ?...John ist ein guter Name, Herr Santerberg." wisperte Suchar, er stimmte somit zu, daß man ihn so nannte und er würde versuchen, sich zu merken, daß man ihn so rief. "Ich werde kooperativ sein... Ich bitte sie nur, mich aus dieser Zelle zu lassen, ich gehe ein hier drin, Herr Santerberg...Ich weiß nicht, ob es Tag oder Nacht ist...ich werde noch ver..." Er brach ab, für verrückt hielt man ihn ja wohl schon.

"Ich verstehe sie gut, John - und wenn sie sich Heute noch gut benehmen, kann ich mit dem Arzt reden, daß man sie in eine Zelle verlegt, die ein Fenster hat. Und bitte nennen sie mich Miguel - mit meinem Nachnamen spricht mich hier Keiner an. Ja ?" Leise und beruhigend redete der schlanke Spanier auf ihn ein - erneut legte er die Hand auf dessen breite Schulter und drückte sie kurz, ehe er aufstand und die Folie aufnahm, das Tablett und schließlich zögerte. "Bitte versprechen sie mir, daß sie mit den Bildern keinen Unfug treiben - sie gehören mir und sind Erinnerungsstücke."

"Ich verspreche es, Herr Miguel." Suchar sah auf zu dem jungen Mann und wagte ein sehr dünnes Lächeln, bevor er seinen Blick erneut auf die Bilder richtete und sie noch genauer musterte, um zu versuchen zu lesen, was auf dem Sarg und in dem Buch stand, ebenso auf dem Teppich mit dem Stammbaum.

"Miguel. Nennen sie mich Miguel, Bitte." Mit den leisen Worten wandte der schlanke Spanier sich ab und ging raus - verschloß die Türe hinter sich und seufzte, ehe er unmerklich nickte und sich auf den Weg zum Stationsarzt machte, um ihm von dem gerade Erlebten zu berichten.

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Artig, wie er es versprochen hatte, trottete Suchar von den zwei größeren Pflegern flankiert hinter Miguel her, der ihn jetzt, Gott sei Dank, in eine andere Zelle führte. Er trat in den kleinen Raum und die zwei großen Pfleger blieben Draußen. Zu seiner Erleichterung musste Suchar feststellen, daß ein Kreuz an der Wand hing, oder eher in die Wand gebettet lag, damit man es nicht abnehmen konnte. Ebenso erleichtert war er, daß er ein Fenster hatte, das zwar sehr hoch und vergittert war, jedoch konnte das Tageslicht hinein. "Ich danke ihnen, Herr.... ähm... Miguel."

"Lassen sie ruhig das 'Herr' weg, John - das ist so förmlich und kalt, Hm ? Kommen sie, ich zeige ihnen das Klo und die Dusche." Der junge Spanier hatte inzwischen schon sehr gut die ein wenig besondere Aussprache des Blonden übernommen und auch durch die Übung gut in seine Deutschkenntnisse zurückgefunden ... ging nun in den Nebenraum, in dem die Dusche und das Klo waren, ebenso wie das Waschbecken. Miguel konnte sich schon denken, daß sein Patient diese Dinge nicht kannte - auch wenn es scheinbar eine Einbildung war, so bildete er sich eben ein, daß er dieser mittelalterliche Ritter sei und benahm sich, als ob er noch nie irgendwelche modernen Dinge gesehen hätte.

Suchar, oder eher John, trat in das kleine Bad, er sah etwas verwirrt aus und besah sich die Sachen, das Waschbecken, ebenso der Spiegel, der hinter ein Gitter verschraubt war, dann das Klo, er sah, daß Wasser darin war, verstand aber nicht, wofür man es benutzte. "Was ist das hier ?" fragte er leise und deutete auf das Klobecken.

"Das ist das Klo, John. Wir haben keine Plumpsklos mehr, das hier ist sauberer. Sie erleichtern sich darin und können sich mit diesem Papier hier sauberwischen, sehen sie, es läßt sich abreißen. Dann werfen sie es mit in das Klo und drücken schließlich hier auf diese Taste an der Wand und es wird weggespült. So zum Beispiel." Noch während er sprach, zeigte der Schlankere es ihm und spülte das abgerissene Stück Klopapier weg - beeilte sich aber gleich zu erwähnen, daß man dieses Wasser nicht trinken konnte, da es zu dreckig sei und zeigte ihm dann, wie das Waschbecken funktionierte. "Zur Not könnten sie dieses Wasser hier trinken - aber ich denke, wenn sie weiterhin so friedlich bleiben, bekommen sie ausreichend Tee, damit sie nicht Durst bekommen. Und dies hier ist die Dusche, hier können sie sich abwaschen - wie am Waschbecken, so gibt es auch hier diese Drehknöpfe, die für heißes und kaltes Wasser stehen. Sie können sich das Wasser so einstellen, wie sie es möchten, eher heiß oder eher kalt. Probieren sie es einfach, Hm ?"

Schweigend lauschte Suchar den Erklärungen und er sah zu, wie das Klopapier um Abfluss verschwand. "Warm und kalt ?" Das faszinierte ihn als Nächstes und er probierte es auch wirklich. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, als er das warme Wasser fühlte, das aus der Wand kam. "Und das ?" fragte er leise und hielt die Seife in der Hand. Sie glubschte ihm aber weg, weil er nasse Hände vom Wasser ausprobieren hatte und so knallte die Seife Miguel an den Kopf. "Das wollte ich nicht." Suchar entschuldigte sich sofort, er hatte Angst, daß er jetzt wieder in die andere Zelle zurückmüsste.

Leise lachend fing der Spanier die Seife auf und rieb sich ein wenig den Kopf - legte sie wieder auf die Ablage und lächelte, als er den Blonden wieder in den kleinen Raum mit dem Bett und dem Tisch führte. "Das weiß ich .... auch wenn es nicht so aussieht, das ist Seife, das kennen sie sicher noch, John. Und sie brauchen keine Sorge haben, ich weiß, daß das keine Absicht war und ich werde ihnen bestimmt keine Probleme deshalb machen. Ich muß jetzt leider gehen und noch nach anderen Patienten sehen, doch ich komme später wieder und bringe ihnen ihr Mittagessen, John. Frische Kleidung ist dort auf dem Stuhl - wenn sie sich geduscht und umgezogen haben, legen sie ihre alte Kleidung einfach dort bei der Türe hin, in Ordnung ? Ich werde sie dann mitnehmen, damit sie gewaschen werden kann. Also, bis später ...." Mit diesen Worten und einem freundlichen, ehrlichen Lächeln verabschiedete Miguel sich und öffnete die Türe wieder mit dem Daumenabdruck - schloß sie hinter sich und beobachtete noch einige Herzschläge lang seinen Schützling, ehe er wieder schmunzelte und zu dem nächsten Patienten ging, mit einem leisen Schaudern an dessen panische Angst vor Bakterien denkend.

Erleichtert blieb Suchar zurück, weg konnte er ja schlecht und nun zog er sich aus und legte die gebrauchte Kleidung genau an den Platz, an den sie hin sollte. Im kleinen Bad besah er sich das weiche Handtuch, dann stieg er vorsichtig in die Dusche und drehte das Wasser auf. Erst war es kalt, dann drehte er ein wenig warm auf und lächelte, als es angenehm war. Es war schön, das warme Wasser, und er fing an, sich mit der Seife zu waschen, von oben bis unten und auch seine Haare. Nach einer ganzen Weile war er fertig und wieder angezogen. Er setzte sich auf sein Bett und sah sich das Kreuz an, dann nach einigen Momenten fing er an zu beten, diesmal in Latein.

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Nach einigen Stunden klopfte es leise und die Türe öffnete sich - mit einem Lächeln trat Miguel ein und schloß die Türe wieder hinter sich, stellte das Tablett auf den Tisch und einen kleinen Becher mit Pillen daneben. Dann wandte er sich zu dem Blonden um, der noch immer im Gebet versunken schien - nickte unmerklich und setzte sich in den Stuhl, wartete geduldig, bis dieser fertig war und störte ihn nicht.

Es dauerte nicht lange, dann sprach Suchar das Gebet zu Ende und er erhob sich langsam und lautlos vom Bett und setzte sich an den kleinen Tisch. Sein Blick lag auf den Becher mit den Pillen und er nahm ihn vorsichtig auf. "Ist das Medizin ?"

"Ja, John. Sie sind zwar bemerkenswert gesund, doch ein paar Tage sollten sie diese Pillen nehmen. Es ist kein Gift, das kann ich ihnen versichern ... es wird ihnen Ruhe geben und ihren Schlaf etwas erleichtern, es ist Baldrian drin und noch einige andere Kräuter wie Hopfen. Ich weiß, sie sehen scheußlich aus - schlucken sie sie einfach und spülen sie mit dem Tee nach, dann müssen sie die Pillen nicht schmecken." Bei seinen Worten hatte Miguel ihm den Früchtetee in die Plastiktasse gegossen und hielt ihn jetzt dem Blonden hin - lächelte dabei aufmunternd und wartete, bis dieser ihm die Tasse abnahm.

"Aber ich schlafe gut... ich schlafe durch, ich brauche das nicht, Miguel." Er kannte die Wirkung und wusste, daß er damit einen recht tiefen Schlaf haben würde. Genau davor hatte er Angst und er nahm den Tee, stellte die Pillen aber wieder zurück neben das Tablett.

Der junge Pfleger hatte mit dieser Reaktion gerechnet ... seufzte leise und schüttelte unmerklich den Kopf, ehe er ihm leise antwortete. "Ich bitte sie John ... es hat mich sehr viel Überzeugungskraft gekostet, den Arzt zu überzeugen, daß sie in dieses Zimmer durften ... und daß sie keine Spritzen mehr bekommen. Sie wissen, daß sie zuvor sehr zornig waren und unberechenbar - als sie schliefen, war es fast so, als ob sie jeden Augenblick aufspringen und den Nächsten, der ihnen zu nahe käme, töten würden. Es ist nicht für lange ... je kooperativer sie sind, je eher können wir die Pillen absetzen und sie vielleicht sogar ein wenig in die Aufenthaltsräume lassen, wir haben dort auch ein sehr schönes Schachspiel und auch Bücher. Ich bitte sie, John ..."

"Bücher ?..." Suchar sah Miguel an, dann sah er auf den Becher mit den Tabletten und wieder zu dem jungen Pfleger. Daß es eine ehrliche Bitte von ihm war, merkte man deutlich und so nahm Suchar doch den Becher mit den Pillen wieder auf. Erst zögerte er, dann schüttete er sich die Pillen in den Mund und spülte sie mit dem warmen Tee herab. "Ich vertraue dir, Miguel... Und bisher war es gut, das zu tun..."

Mit einem erleichterten Lächeln nickte der junge Pfleger und nahm ihm den Becher ab - wisperte noch ein leises "Ich danke dir, John." und stand dann auf, nahm die Kleidung auf und verließ mit einem kurzen "Komme gleich wieder ..." die Zelle. Es dauerte nur einige Minuten, bis er tatsächlich wiederkam - er trug frische Kleidung bei sich und legte sie auf den zweiten Stuhl, richtete das Bett und setzte sich dann an die Seite, um zu warten, bis der blonde Hüne mit dem Essen fertig war.

Suchar war fast fertig, einzig den Becher mit dem grünen, glibberigen Zeug rührte er nicht an, sonder starrte es an, als würde es ihn gleich anspringen. Er hob nach kurzem Mustern eine Braue und stubste mit dem Löffel gegen den Becher, das grüne klare Zeug wackelte hin und her und kam dann wieder zur Ruhe. Suchar verzog einen Mundwinkel und sah unsicher zu Miguel. "Was....was ist das da ?" Er sah wieder zu dem Becher mit der grünen Götterspeise und stubste ihn erneut mit dem Löffel an.

"Süßer Pudding. Eine besondere Art von Pudding, er schmeckt nach Waldmeister, deshalb auch die grüne Farbe. Warte ..." Mit den Worten war der Schlanke zu ihm getreten und zögerte kurz - nahm jedoch dann den Löffel und ein wenig der Götterspeise, aß sie und wusch den Löffel am Waschbecken wieder sauber, ehe er ihn Suchar mit einem Lächeln wiedergab. "Ich mag das Zeug sehr gerne - probier es ruhig, ich bleibe solange da, es ist bestimmt nicht vergiftet und schmeckt wirklich gut."

"Na gut...." murmelte Suchar und nahm etwas Wackelpudding auf den Löffel. Diesen führte er langsam zu seinem Mund und schon schob er sich den grünen Glibber rein und kuckte überrascht. "Hmmmm...Das ist gut." Er schnappte sich den Becher und löffelte fast hingebungsvoll weiter, bis es alle war.

Leise lachend, stellte Miguel den leeren Becher auf das Tablett - drückte sanft die Hand des Größeren und wisperte ein leises "Hab ich doch gesagt, John. Wenn du möchtest, versuche ich, ob ich dir Morgen zwei Becher besorgen kann." zu ihm. Dann nahm er das Tablett auf und nickte unmerklich - richtete sich auf und lächelte wieder, als er noch ein "Leg dich am Besten ein wenig hin und ruhe ... ich komme in zwei Stunden wieder, damit wir ein wenig reden können, heute Abend bin ich leider nicht mehr da, ich habe jetzt immer tagsüber Schicht. Also bis nachher ...." nachsetzte und dann durch die Türe ging, die sich hinter ihm wieder schloß.

Suchar sah zu, wie die Tür ins Schloss fiel und seufzte leise, als er sich gleich darauf erneut im Zimmer umsah. Er merkte, wie er müde wurde, fast schon träge durch die Tabletten. Es war etwas, das er immer gefürchtet hatte, und nun musste er es hinnehmen. Er legte sich schließlich wirklich hin und schlief ein. Tiefer und fester, als die Nächte zuvor, sein Gesicht war ruhiger und entspannter, ja regelrecht friedlich.

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Nach zwei Stunden öffnete sich die Türe und Miguel trat ein ... sanft lächelnd, kam er zu dem Bett und nahm lautlos den Stuhl vom Tisch, setzte sich neben das Bett und strich behutsam eine der langen, blonden Locken aus dem Gesicht des Schlafenden.

Es brauchte scheinbar ewig, bis zu Suchar durchdrang, daß ihn Jemand berührt hatte. Als er seine Augen öffnete, erschrak er regelrecht und starrte Miguel an, als wäre er ein Meuchler, der es geschafft hatte, sich an ihn heranzuschleichen. Das mit den Pillen fiel Suchar dann aber wieder ein und er beruhigte sich äußerlich. Innerlich war er aufgewühlt, er hatte sich von Jemanden überrumpeln lassen.

"Schhhh... bin nur ich, John. Keine Angst - hier wird dir Niemand etwas tun." Leise und besänftigend, sprach der Schlankere zu dem Blonden - er hatte sehr wohl gemerkt, was in ihm vorgefallen sein mußte und man sah ihm an, daß er sich Vorwürfe deswegen machte. "Ich wollte dich nicht erschrecken - ich ... ich habe nur eine Ponylocke aus deiner Stirn genommen, weil sie dir über den Augen gelegen ist. Bitte verzeih."

Suchar strich sich nun selber die Locke zurück und setzte sich auf, die Blässe des Schreckes verflog langsam, sie war eh kaum zu sehen gewesen auf seiner milchweißen Haut. "Ich...ich bin es nur nicht gewöhnt." Entschuldigte er sich und sah dann wieder zu Miguel. "Das ist von der Medizin..." Er spürte noch immer die Trägheit, er musste wohl eine ganze Menge bekommen haben wenn es noch immer anhielt.

"Ich weiß .... ich habe schon mit dem Arzt gesprochen, die Dosis war viel zu hoch. Aber er will die nächsten zwei Tage die Dosis beibehalten und erst wenn du noch immer friedlich bist, wird sie reduziert. Es tut mir leid, John, aber ich konnte es nicht verhindern, ich bin nunmal kein Arzt sondern nur ein Pfleger." Miguel neigte sich vor und legte den Arm stützend um die breiten Schultern des Anderen - half ihm vorsichtig, sich völlig aufzusetzen und zur Seite zu drehen, damit er die Beine auf den Boden stellen konnte.

Der Blonde kam sich vor wie ein Kranker, der Hilfe brauchte, aber war er nicht krank. Er fühlte sich kraftlos und noch immer müde, und er war unsicher, ob er sich richtig auf den Beinen halten konnte. Jedoch waren einige seiner Sinne noch wach und er roch, daß Miguel nach Mandeln roch. "Mandeln ? ..." fragte er eher skeptisch, denn Gift roch nach Mandeln.

Einen Moment lang sah der schlanke Spanier verdutzt auf den Blonden - dann erwachte ein leises Rot auf seinen Wangen und er nickte, als er sich wieder auf den Stuhl setzte. "Ja - nach dem Rasieren nehme ich immer eine Lotion aus Mandelmilch für die Haut, damit sie weich bleibt. Du bist der Erste, der das bemerkt hat, John ... und bleib noch ein wenig sitzen, dein Kreislauf wird sich gleich wieder stabilisieren."

"Mandelmilch...benutzen Frauen." Suchar hob eine Braue und musterte Miguel noch mal besonders eingehend. Er hob vorsichtig eine Hand und berührte die weiche Haut an dessen Wange und Kinn. "Frauen, oder Männer die sein wollen, wie Frauen... Sünder...." murmelte er leise.

Bei der sanften Berührung senkten sich automatisch die Lider des Schlankeren und dessen lange, pechschwarze Wimpern warfen einen leichten Schatten über seine Augen ... es dauerte einige Herzschläge, ehe er ihm antworten konnte. "Natürlich ... Mandelmilch wird in Kosmetik und auch anderen Dingen benutzt wie Seifen und Lotions. Aber ich bin weder eine Frau noch ein Mann, der sich wie eine Frau anzieht und benimmt. Ich möchte nur nicht so rauh und stachelig sein wie die meisten Männer, es ist angenehmer, wenn man Jemanden küßt oder sich berührt, und wenn es nur eine Umarmung ist." Miguel war froh, daß die Zelle nur eine Kamera besaß und keine Tonaufnahme ... und daß er so saß, daß die Kamera sein Gesicht und die sich leicht verstärkende Röte auf seinen Wangen nicht zeigte. Nur die Pfleger wußten, daß er auf Männer stand, doch sie hielten alle dicht, um nicht gefeuert zu werden - denn der junge Spanier war nicht der Einzige, der auf Männer stand. Und auch wenn dies Irrsinn war - irgendwie faszinierte ihn dieser blonde Hüne, der sich für einen Ritter gehalten hatte.

Seine Hand wieder zurückziehend, wich Suchar ein wenig zurück von Miguel. "Du liebst andere Männer ?... Das ist Sünde, so Etwas darf es nicht geben." Abscheu sah man nicht in den blauen Augen, nur Unglaube und Unsicherheit, eine Situation, mit der er nicht gerechnet hatte...Oder eher nicht auch noch, da im Moment seine Situation nicht zu berechnen war, die ganze Zeit über. Es war ein schwieriger Test, dem er von Faron unterzogen wurde.

Fast sofort wich alle Farbe aus den Zügen des schlanken Spaniers ... sie kehrte zwar schnell wieder zurück, doch man hatte für eine Sekunde gesehen, wie sehr ihn diese Bemerkung getroffen hatte. Doch dann hatte Miguel sich wieder im Griff und lächelte wehmütig, stand auf und begann, ein wenig das Bett zu richten. "Ja - ich mag andere Männer. Und es ist mittlerweile normal geworden unter den Menschen, daß man auch Jemand des selben Geschlechts lieben kann. Es gibt viele Priester, die dafür kämpfen, daß sie die Männer, denen es so geht, auch trauen dürfen - in manchen Ländern können zwei Männer schon staatlich heiraten und manchmal trauen Priester im Geheimen gleichgeschlechtliche Paare. Wenn man einen Partner nur lieben kann, wenn er dem anderen Geschlecht angehört, dann ist das keine Liebe, John ... Liebe ist mehr als das, wenn sie echt ist, dann zählt das Geschlecht des Partners nicht mehr sondern nur der Mensch, der in diesem Körper steckt. Aber du brauchst keine Angst vor mir zu haben, John, ich kann Privates gut von der Arbeit trennen und werde nichts tun, daß dir unangenehm sein könnte."

Daß er einen Nerv getroffen hatte, spürte Suchar, er hatte Miguel nicht verletzen wollen. Was er hörte, war fast unfassbar und wieder war der innere Kampf da, es war eine Prüfung, die er zu bestehen hatte, das sagte er sich ein paar Mal. "Das wusste ich nicht... Die Zeiten haben sich wohl gewandelt...Ich verstehe so vieles nicht... Ist wenigstens die Bibel noch die selbe ?"

"Die Katholische ? Natürlich. Es gibt inzwischen unzählige Sekten, die Einen halten sich an das alte Testament, die Anderen an das Neue, viele bilden Abarten der katholischen Religion, es gibt auch andere Religionen. Ich weiß, daß dies merkwürdig für dich klingen mag, aber es ist eigentlich gar nicht so schwer. Ich selbst bin katholisch, auch wenn mein Glaube arg geschwunden ist. Wie geht es deinem Kreislauf ? Kannst du schon aufstehen ? Ich stütze dich, wenn du möchtest ...." Abrupt wechselte Miguel das Thema - es war ihm anzusehen, daß das Thema ihm unangenehm war und er lächelte ein wenig wehmütig, darauf hoffend, daß sich der Blonde helfen lassen würde, falls er noch unsicher war.

Es war deutlich zu spüren, daß Miguel das Thema nicht sonderlich zusagte und so ging Suchar auf den Themenwechsel ein, auch wenn er mehr wissen wollte. Er ließ sich auch helfen. "Es geht... Es wäre trotz Allem nett, wenn du mir behilflich wärst." Er ließ sich aufhelfen und stütze sich auf dem Kleineren vorsichtig ab, als der ihn das kleine Stück zum Stuhl brachte, auf dem er sich dann niederließ.

Zuvor hatte Miguel noch zustimmend genickt - half ihm zu dem Stuhl und trug dessen Gewicht besser, als man es bei seiner Statur vermuten könnte. Dann setzte er sich neben ihn und - als ob zuvor nichts gewesen wäre - erwachte ein leises Lächeln auf seinen Lippen, als er ihn betrachtete. "Du hast gewiß eine Menge Fragen ... stell sie einfach, ich antworte, so gut es mir möglich ist. Ich habe auch das Buch mitgebracht, das ich für mein Studium gebraucht habe - die deutsche Geschichte des Mittelalters." Mit den Worten nahm er ein dickes Buch von der Seite - schlug es an einer mit einem Klebezettel eingemerkten Stelle auf und zeigte auf den Titel des Abschnittes, der die berühmten Kreuzritter behandelte. Der junge Spanier hatte die Stellen, die wichtig waren, mit Leuchtfarbe angestrichen - zeigte nun darauf und nickte aufmunternd zu dem Blonden.

Suchar sah sich die Zeilen an und hob erstaunt seinen Brauen. Er nahm das Buch zu sich und las die ersten Worte, es war anders als früher und doch verstand es das Geschriebene. Er las es langsam durch, dann stellte er seine Fragen und ließ sie sich von Miguel beantworten und dann von ihm den nächsten Abschnitt zeigen, damit sie es wieder besprechen konnten.

Auf diese Weise verbrachten sie den gesamten Nachmittag, bis das leise Summen des Türschlosses den Schichtwechsel ankündigte - Miguel lächelte zu dem anderen Pfleger und nickte, als dieser mit einem Tablett zum Tisch kam, das Abendessen darauf abstellte und freundlich zu dem Blonden nickte. "Ich grüße sie, John ... mein Name ist Richard, ich kann ein wenig Deutsch, doch nicht so viel wie Miguel." Jener stand auf und nickte zustimmend - ließ das Buch am Tisch liegen und erneut trat ein Lächeln auf die Lippen des jungen Spaniers. "Er hat die Nachtschicht - ich bin immer von Frühs bis zum Abend da und er vom Abend bis in die Frühe. Ich wünsche dir noch eine erholsame Nacht, John - Morgen bin ich dann wieder da." Mit diesen Worten verabschiedete sich Miguel und mit einem kurzen Winken ging er aus der Zelle - schmunzelte leise bei dem Gedanken an die vergangenen Gespräche und ging in das Stationszimmer, um seinen Schichtbericht zu schreiben.

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