”Der Sohn des Mondes” (Leseprobe)
Kapitel 1
Auf dem Markt war buntes Treiben zu sehen. Marktweiber, die ihre Waren darboten, Männer, die sich unterhielten und Kinder, die herumliefen und versuchten, hier und da etwas abzustauben.
Durch dieses bunte Treiben gingen zwei Wanderer, und schließlich legte der Jüngere der beiden ein Fell auf die Mauer des Brunnens am Markt, und der Ältere setzte sich hinauf. Sein Aussehen verriet schon, daß er Barde und Geschichtenerzähler war. Er trug etwas abgetragene, bunte Kleidung und holte nun seine Laute hervor, die ebenso mit Bändern verziert war, um sie rasch zu stimmen.
Elasai freute sich schon, die Geschichten zu singen, und erste Kinder kamen, um ihn neugierig zu beobachten. Elorian war der Bruder von Elasai und würde nachher eine Schale herumreichen, um kleine Gaben einzusammeln. Nicht nur Geld war gern gesehen, auch Essen und Trinken.
Natürlich waren die Leute um sie herum schon neugierig und kamen rasch näher, denn ein jeder war neugierig auf die Geschichten und Lieder, die der Barde bestimmt in den anderen Städten gehört hatte und ihnen nun singen würde. Einige der Kinder kamen ganz nahe und betrachteten die Laute und die Bänder daran, ehe sie mit großen Augen zu dem Barden hochsahen und lächelten.
Elasai lächelte die Kinder an und wuschelte einem der Jungen durch die Haare, ehe er ein Band von der Laute nahm und es einem besonders ärmlich wirkenden, kleinen Mädchen gab.
"Für deine Haare, dann bist du noch hübscher." Er grinste, als sie sich das Band gleich in die Haare wickelte, und nickte sacht.
"Gleich geht es los, wehrte Zuhörer." Er schlug nochmal jede Seite der Laute an, und wirkte zufrieden. "Ich erzähle die Geschichte vom Sohn des Mondes."
Und das wiederum sorgte für zum Teil völlig gegensätzliche Reaktionen. Einige der Leute atmeten erschrocken ein und liefen sofort weg, da sie die Stadtwachen fürchteten - doch die Meisten blieben trotz ihrer Unruhe, und schließlich trat eines der kleinen Mädchen scheu vor und fragte leise.
"Ich habe sie schon gehört... aber nie ganz. Kennst du wirklich die ganze Geschichte?"
Der Barde war kurz verblüfft, daß einige der Männer und Frauen so schnell verschwanden, aber das Kind lenkte ihn wieder davon ab und er nickte sacht.
"Ja, ich kenne sie. Eine alte Frau erzählte sie mir und ich finde die Geschichte so schön, daß ich sie weitergeben möchte. Und nun beginnen wir."
Elasai blickte zu seinem Bruder und der setzte sich neben ihn, dann schlug der Barde die Laute an und spielte ein kurzes Lied darauf, ehe seine Stimme erklang.
"Die Geschichte beginnt wie so viele schon, ein König verliebte sich in eine schöne Frau, und machte ihr lange den Hof. Er gewann ihr Herz, und sie heirateten..."
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In den kühlen Mauern einer Burg, die in einem weit entfernten, kleinen Land lag, schmunzelte eine wunderschöne Frau, als sie das verschmitzte Lächeln ihrer Leibzofe im Spiegel sah. Wie einen jeden Abend, verbrachte Maria ein wenig Zeit vor dem warmen Kamin damit, über ihren Tag nachzudenken... und wie einen jeden Abend, nutzte ihre Zofe die Gelegenheit, um das lange, weiche Haar ihrer Herrin zu bürsten, bis es so weich und dunkel schimmernd wie der schwarze Nachthimmel über ihre Schultern wallte.
"Was geistert dir durch den Kopf, Ina?"
Die Zofe lachte nun leise und legte den Kopf ein wenig schief, ehe sie sich verschwörerisch näherneigte und zu ihrer Herrin sprach.
"Ich denke nur gerade daran, wie sehr ihr von dem Werben des jungen Königs aus dem Osten angetan wart, meine Prinzessin... und ich kann es verstehen, er sieht sehr gut aus."
Die junge Prinzessin lachte nun ebenfalls und nickte, ehe sie leise seufzte und sich ein wenig hinterlehnte.
"Ja, ich weiß, Ina... er ist so stark und männlich, doch nicht so grob wie dieser rothaarige Barbarenprinz aus dem Norden. Oder so eitel und fett wie der Prinz aus dem Nachbarland, mir schaudert schon, wenn ich nur an ihn denke. König Nintano ist ein hervorragender Krieger, doch er besitzt Verständnis für die schönen Künste und ist gebildet, Ina... ich dachte immer, daß nur meine Mutter das Glück hatte, einen Mann zu bekommen, der sich für Schriften oder Schach interssiert, oder die Mathematik oder Sprachen. Auch die Art, wie er um meine Gunst wirbt, ist so anders, Ina... sieh, das hat er mir Heute geschenkt."
Mit den Worten öffnete Maria die Hand und lächelte, als sie die kleine, halb geöffnete Rosenknospe betrachtete, die darin lag. Eine Blüte, deren Blätter so roseweiß wie ihre Haut schimmerten, doch die Ränder leuchteten in einem sanften Rubinrot.
"Er sagte, daß diese Blüte ihn an mich erinnere... denn die Blütenblätter würden meiner Haut gleichen und die dunklen Ränder besäßen die Farbe meiner Lippen. Noch nie hat Jemand so etwas Wundervolles zu mir gesagt, Ina... und er gab mir einen Kuß, so zart wie der Hauch des Windes, den ich an meinen Lippen verspürte. Ich glaube, ich werde ihm meine Gunst schenken, Ina... und ich hoffe, daß mein Vater es erlaubt."
Die junge Zofe nickte nur und fuhr damit fort, die weichen Haare ihrer Herrin zu bürsten... sie waren gemeinsam aufgewachsen und Vertraute, sie würde alles für ihre Herrin tun und wenn diese sich in den jungen König verliebte, so würde sie ihr auch in dessen Königreich folgen.
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Einige Wochen später ritt König Nintano mit seiner Angebeteten in sein Königreich ein. Er war noch nicht lange König, da sein Vater erst vor wenigen Monaten bei einer Schlacht verstorben war... das Volk liebte Nintano aber und war hocherfreut darüber, daß er seine Königin gefunden und deren Vater die Ehe gestattet hatte. Die Menschen standen an der Straße, jubelten und warfen Blumenblüten auf das glückliche Paar.
"Sie lieben dich schon jetzt, meine Schöne."
Und das war etwas, das Maria lächeln ließ und die Menschen, welche an der Straße standen, jubelten noch ein wenig mehr, da sie sahen, daß dies ein ehrliches, sanftes Lächeln war, das von der ebenso sanften Seele dieser schönen Königin sprach.
"Ja... obwohl sie mich doch noch gar nicht kennen, mein Liebster."
Während sie sprach, schmiegte die schlanke, schwarzhaarige Frau sich ein wenig näher an den starken Körper des Königs, der sie bei sich auf dem Pferd trug. Er hatte die Strenge einer Kutsche abgelehnt und Marias Herz schlug noch immer ein wenig schneller, als sie sich daran erinnerte, wie Nintano seine Würdenträger mit dem Argument zurechtwies, daß er dem Volk zeigen wollte, wie sehr er seine Zukünftige verehrte.
"Ich hoffe, daß im Tempel alles gutgeht, mein Liebster... die Rituale sind mir noch so neu, auch wenn dein Priester sehr geduldig war."
"Ich bin sicher, es wird alles gutgehen, und du hast mich sehr glücklich gemacht, als du dich unserem Gott zugewandt hast."
Sein Volk betete den Sonnengott an und es war nicht selbstverständlich, daß Maria ihren Glauben aufgab, um sich dem seinen anzuschließen.
"Ich unterstütze dich, wenn du Hilfe brauchst." Das war für ihn selbstverständlich - aber er war sicher, daß Maria schnell in die Rituale hineinfand. "Aber jetzt bereiten wir uns für die Feier vor... heute Abend werden wir Mann und Frau sein."
"Ja, mein Liebster - endlich."
Die junge Prinzessin lächelte zärtlich zu ihm hoch und kuschelte sich danach wieder an die breite Brust des jungen Königs, während sie sich schon darauf freute, endlich auch vor den Priestern und Göttern seine Frau zu werden. Auch wenn sie in einer liebevollen Familie aufwuchs - dies war neu, galt nur ihr und sie war glücklich, endlich das gleiche Glück wie ihre sich noch immer liebenden Eltern gefunden zu haben.
Nintano war auch glücklich, denn er hatte die Frau bekommen, in die er sich verliebt hatte, und eine der schönsten Frauen der Königreiche. Er freute sich auch darauf, wenn die Zeremonie vorbei war - denn dann konnte er ihrem Körper huldigen und ihr erstmalig Erfüllung bringen.
Auch wenn dies Maria auch ein wenig ängstigte, so freute sie sich schon darauf, da sie den Mann liebte, der ihr ihre Jungfräulichkeit nehmen würde. Und auch wenn es ihr einerseits in ihr Innerstes stach, so hoffte sie doch, daß er schon bei Frauen gelegen hatte und wußte, was er tat... denn sie selbst wußte nicht sehr viel darüber, da es einer Prinzessin nicht gestattet war, zuviel darüber zu wissen.
Dann wurde Maria jedoch abgelenkt, da der junge König auf den Hof seiner Burg ritt und sie blickte staunend umher, denn die Burg war nicht nur groß, sondern auch sauber und fast schon so schön, wie man es von einem Landschloß erwartete.
Nintano wusste, was er zu tun hatte und lächelte nun stolz, als er seine Liebste leise fragte.
"Gefällt dir dein neues Zuhause? Ich will, daß du dich wohlfühlst, meine Königin."
Er ritt noch ein Stück weiter und stieg ab, um letztlich Maria vom Pferd zu heben und sie sanft neben sich abzustellen. Gleich mussten sie sich trennen, und er genoss jeden winzigen Moment in ihrer Nähe.
So erging es auch ihr und so löste sie sich nur langsam aus den starken Armen, die sie hielten. Doch es war notwendig, da die Minister und auch die Priester herankamen und sie grüßten.
Inzwischen kam auch die Leibzofe der Königin an und blieb unauffällig hinter ihr, während die Diener schon das Gepäck in die königlichen Gemächer brachten. Sicherlich würde es nicht lange dauern, bis die Höflichkeiten und Begrüßungen zu Ende gingen... denn es brauchte seine Zeit, die Königin für die bevorstehende Zeremonie einzukleiden und Ina machte sich schon Sorgen, daß sie es nicht schaffen würden, auch wenn der König das Gehabe beschleunigte.
"Genug für jetzt... eure zukünftige Königin muss sich zurechtmachen."
Er winkte zwei weitere Zofen aus seinem Schloss herbei und sie brachten Maria und Ina zu den Gemächern, um dort dafür zu sorgen, daß ihr Brautkleid richtig angezogen wurde... denn auch dies hatte gewisse Traditionen.
"Und sorgt dafür, daß Prinzessin Maria noch etwas isst, die Reise war anstrengend."
Die beiden Diener, denen die letzten Worte galten, nickten respektvoll und liefen dann in die Richtung der Küche, damit sie der Prinzessin und auch deren Leibzofe eine kleinere Speise bringen konnten. Denn in wenigen Stunden - gleich nach der Zeremonie - war ein großes Festbankett anberaumt und es wäre fatal, wenn die Prinzessin dafür keinen Hunger mehr hätte.
Indes seufzte Maria leise, als sie den beiden Zofen folgte... sie waren zwar höflich, aber noch fremd, so fremd wie die Burg, die sie durchquerten. Erst, als sie in den Königsgemächern ankamen, sah Maria etwas Vertrautes - denn ihr Gepäck und ihre Aussteuer waren schon hochgeschafft worden und mußten nur noch ausgepackt und eingeräumt werden.
Derweil kehrte Nintano in seine Gemächer ein. Auch er aß einen kleinen Happen und wurde eingekleidet, während er nebenher noch einige Staatsgeschäfte regelte, denn Morgen Abend reiste er schon wieder ab. Der Krieg, in dem sein Vater fiel, war noch im Gange... und Nintano musste ihn langsam aber sicher beenden.
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Seit der Hochzeit waren einige Wochen vergangen und Nintano erinnerte sich jeden Tag an die Hochzeit und die Hochzeitsnacht. Es war ein Lichtblick in der Schlacht, die sich jetzt nun endlich zum Ende wandte... und das positiv für ihn, denn seine Streitmächte hatten mehr Ausdauer, und er dankte dem Sonnengott für seine Stärke.
Sein General nickte, als er sah, wie der junge König das Zeichen der Dankbarkeit gegenüber ihrem Gott an seinem Herzen schlug, ehe er es ihm gleichtat und ihrem Gott dankte. Das Land König Nintanos besaß viele Berge, die reich an Metallen waren - doch dafür gab es vergleichsweise nur wenig Ackerland, so daß sie darauf angewiesen waren, das geschmolzene Metall für Nahrung einzutauschen.
Und sie mußten es auch gegen andere Nationen verteidigen, die gierig auf ihre Minen blickten und sie angriffen, um diese Minen zu erobern. Die Geschichte ihres Landes war eine Geschichte der Kriege... und deshalb beteten sie den Gott des Krieges, der Stärke und Schutzpatron der Metalle an, baten um seinen Segen und kämpften auch im Namen des hell erstrahlenden Sonnengottes.
"Woran denkt ihr, mein König? Für einen Moment erhellte ein Lächeln euer Gesicht."
"An die Königin... ich vermisse sie und hoffe, sie bald wiedersehen zu können."
Und vielleicht trug sie ja schon ein Kind unter dem Herzen. Dieser Wunsch erhellte sein Inneres, es war der Wunsch jeden Mannes und auch er träumte davon, einen Sohn aufziehen zu können, den diese wundervolle Frau ihm gebar.
Der General nickte auf diese Worte - er wußte, daß sein junger König sehr von seiner neuvermählten Frau angetan war und auch er hoffte, daß die Königin bald einen Thronfolger gebar.
Denn der Krieg barg immer die Gefahr, daß der junge König starb - und wenn er keinen Sohn hatte, würde der Streit um die Thronfolge ihr Reich in Stücke reißen.
"Bald könnt ihr euch eine Pause von den Schlachten gönnen, eure Hoheit... ihr wißt, daß zur Hochfeier des Sonnengottes die Waffen ruhen und ihr in dieser Zeit zu eurer Gemahlin zurückkehren könnt. Nicht mehr lange... ein wenig mehr als ein Mondzyklus noch."
Nintano nickte und lächelte kurz zu seinem General.
"Ich hoffe, daß wir bis dahin unser Ziel erreicht haben, aber ich bin zuversichtlich."
Noch war die Schlacht nicht gewonnen, aber sie waren nahe dran. Daß danach lange Frieden war, hofften alle... aber diese Hoffnung hatten sie bei und nach jedem Krieg. Doch die Leute wußten auch, daß es bald wieder den nächsten Krieg geben würde, da die Erze einfach zu wertvoll waren, um ohne Kampf beschützt werden zu können.
Auch darum war es wichtig, viele Kinder zu bekommen - und der General hoffte, daß auch die Königin ihrer Pflicht bald nachkam und dem König mindestens einen Sohn schenkte.
"So wie auch ich, mein König - und nun kommt, wir müssen wieder zurück."
König Nintano seufzte leise und nickte, dann machte er sich auf den Weg zurück zu seinen anderen Generälen, die schon warteten, da noch weiteres besprochen werden musste.
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"Der König kehrte nach der Schlacht zu seiner Königin zurück - doch nicht für lang, denn wie erwartet, folgten weitere Schlachten. Er besuchte Königin Maria sehr oft, und doch trug sie nie ein Kind unter dem Herzen."
Elasai erzählte nun leise, und seine Laute verstummte für einen Moment. Seine Zuschauer hingen gefesselt an seinen Lippen, und saugten jedes Wort auf. Und das war auch kein Wunder - denn so hatte noch keiner von ihnen diese Geschichte gehört, obwohl es doch ihr König war, um den es hier ging.
Viele der Menschen, welche damals die Königin gesehen hatten, waren inzwischen in den andauernden Kriegen gefallen... und die Anderen, die noch lebten, hatten es verdrängt oder vergessen, da der Zorn König Nintanos und vor allem der Sonnenpriester keine Grenzen kannte.
Doch das zählte nun nicht, als die melodische Stimme des Barden die vergangene Zeit wiederbelebte... und so bemerkte auch Niemand, daß im Schatten eines Tores einige Stadtwachen standen und einer sich nun umdrehte, um so schnell es ihm möglich war seinen Vorgesetzten Meldung zu machen, während der Sänger nun wieder zu erzählen begann.
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